„Antisemitismus – nicht mit uns!“: Kirche und Kölner Rat der Religionen zeigen Flagge

11. Oktober 2019; Hildegard Mathies

Köln. Am Tag nach dem Anschlag von Halle sind Trauer, Entsetzen und Erschütterung überall spürbar – aber auch Wut auf Menschen, die Hass verbreiten, sowie auf Gruppierungen und Parteien wie die AfD, die zu einem gesellschaftlichen Klima beitragen, in dem offener Antisemitismus wieder möglich geworden ist. Bei einer Mahnwache am Abend vor dem Kölner Dom riefen zahlreiche Vertreter der jüdischen Gemeinde in Köln, aber auch von Bündnissen, Aktionsgruppen und aus der Politik dazu auf, dem Antisemitismus und Hass in Deutschland den Nährboden zu entziehen. Sie forderten ein klareres Engagement und Konsequenzen von der Politik.

Helge David Gilberg, stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Köln, sagte, es zerreiße ihm das Herz, dass Juden in der Bundesrepublik nicht mehr sicher seien. Es sei eine Schande, dass sieben Jahrzehnte nach dem Holocaust jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger Angst um Leib und Leben haben müssten. Aber die Angst dürfe nicht die Oberhand behalten – denn dann hätten die geistigen Brandstifter, Antisemiten und Täter gewonnen.

Der Anschlag von Halle sei in seiner Brutalität nicht in Worte zu fassen, „da er ein Anschlag auf die Seele aller Jüdinnen und Juden in Deutschland ist“. In seinen schlimmsten Albträumen habe er nicht für möglich gehalten, dass wir uns in unserem Land diese Frage wieder stellen müssen: Wie konnte das wieder in Deutschland passieren?“ Schon einmal seien die braunen Horden durch Deutschland marschiert – was letztlich  der millionenfachen Ermordung von Menschen geführt habe, sagte Gilberg hörbar emotional. Noch nie sei es ihm so schwergefallen, eine Rede zu halten – „ und ich habe viele Reden gehalten“. Aber: „Ich werde mich dem braunen Mob nicht beugen!“ 

Politiker wie der Thüringer AfD-Fraktionschef Björn Höcke, den Gilberg mehrfach „Faschist“ nannte, bereiteten solchen Taten den Weg: „Sie verhöhnen jeden Juden in diesem Land, Herr Höcke“, so Gilberg. „Sie sind ein geistiger Wegbereiter“ des Antisemitismus und Hasses, der in Gewalt münden kann, sagte er an Höcke adressiert. Gilberg berichtete auch von einem kürzlichen Besuch im KZ Buchenwald und betonte: „Wieder einmal wurde meinen Freunden und mir vor Augen geführt, zu was menschliche Bestien in der Lage sind. Wer einmal vor den Verbrennungsöfen gestanden hat und nur im Ansatz nachvollziehen konnte, was dort geschehen ist, der kann den Holocaust nicht leugnen und den millionenfachen Mord ebenfalls nicht.“ Wer wie die AfD das Land spalten und die Demokratie aushebeln wolle, habe jedoch jeden einzelnen Teilnehmer der Mahnwache als seinen Gegner. Gilbergs Botschaft an antisemitische und rechtspopulistische Kräfte war klar: „Wir werden uns dieses Land nicht von euch wegnehmen lassen.“ Besonders bewegend war, was David Klapheck, Geschäftsführer der Synagogen-Gemeinde Köln, später dem WDR berichtete: Sein Vater spreche davon, dass „die SA marschiert“.

 

Stadtdechant Kleine: „Gegen jeden Terror stehen wir auf“

 

Stadtdechant Robert Kleine, der aus terminlichen Gründen nicht an der Mahnwache teilnehmen konnte, hatte seiner Erschütterung über den Anschlag und die zwei Todesopfer im Vorfeld Ausdruck gegeben und forderte zum klaren Engagement gegen Antisemitismus und Terror auf. Im Interview mit dem WDR sagte er: „Ich bin natürlich erschüttert gewesen, als ich das hörte. Und es ist ganz schrecklich, dass es zwei Todesopfer gegeben hat. Es war ein umso größerer Schreck, als das Ziel die Synagoge war und die darin versammelten Mitbürgerinnen und Mitbürger. Ich durfte ja erst vor wenigen Wochen den 60. Jahrestag der Wiedereinweihung der Synagoge in Köln mitfeiern. Damals war die Rede davon, was für ein Mut das war, dass Juden gesagt haben nach dem Zweiten Weltkrieg: ,Wir bleiben in Deutschland, wir kommen wieder nach Köln und fangen hier neu an.‘ Aber es gab auch schon Sorgen wegen des wachsenden Antisemitismus.

Meine Gedanken nach dem Anschlag von Halle waren: Die Saat der Worte ist nun aufgegangen im blutigen Terror. Da können und müssen wir nicht nur als Christen, sondern auch als ganze Gesellschaft und als Demokraten aufstehen und sagen: Es darf sich nicht wiederholen, was damals auch leicht zündelnd anfing. Wir müssen sagen: Das geht nicht! Und auch, dass Antisemitismus in Worten schon zu viel ist. Wir leben in einer pluralen Gesellschaft. Wir als Christen sehen die Juden als unsere älteren Brüder und Geschwister. Und ganz klar ist: Gegen jeden Terror stehen wir auf! Erst recht gegen den Terror, der sich gegen eine Glaubensreligion richtet und gegen Juden – vor allem nach der Geschichte in unserem Land.“

Das Katholische Stadtdekanat Köln hatte nicht nur im Mittagsgebet im Kölner Dom auf den Anschlag reagiert, sondern auch zur Teilnahme an der Mahnwache aufgerufen, zu der sich am Abend nach den Ereignissen von Halle rund 1000 Menschen versammelten. Neben vielen Bündnissen und Initiativen war auch der Kölner Rat der Religionen mit Oberbürgermeisterin Henriette Reker an der Spitze mit einem Transparent präsent. Seine Botschaft war deutlich: „Menschenverachtung, Gewalt, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Antisemitismus – nicht mit uns!“ Und: „Als Religionsgemeinschaften verpflichten wir uns, jeder Verhetzung und Erniedrigung von Menschen entgegenzutreten.“

Reker betonte in ihrer Rede: „Dieser Anschlag ist ein Anschlag auf uns alle und er trifft auch mich mitten ins Herz!“ Sie rief zu Zivilcourage auf und dazu, schon den Anfängen zu wehren, wenn der Eindruck von Rassismus und Antisemitismus entstehe. „Wir müssen miteinander als Demokraten den Mut beweisen, auch mit denen zu sprechen, die in dieser Gesellschaft nicht mehr zurechtkommen“ und die womöglich offen seien für rechtes Gedankengut. Dazu gehöre auch Überwindung – aber sonst werde die Gesellschaft nicht mehr so weiter existieren können wie bisher. Reker wählte zum Abschluss persönliche Worte: „Ich schäme mich, dass so etwas in unserem Land passieren konnte.“

Eine Randnotiz: Rabbiner Yechiel Brukner freute sich besonders über einen privaten Solidaritätsbesuch von Weihbischof Rolf Steinhäuser am Nachmittag. Beide standen dann auch zusammen inmitten der vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

 

Im Bild u.a. Vertreter des Kölner Rates der Religionen bei der Mahnwache (v.li.): Werner Heidenreich, Vertreter der Buddhisten; Pfarrerin Dorothee Schaper, Melanchthon-Akademie; Rafet Öztürk, Ditib-Bundesverband; Oberbürgermeisterin Henriette Reker; David Klapheck, Geschäftsführer der Synagogen-Gemeinde Köln; Superintendentin Susanne Beuth, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Köln; Diakon Jens Freiwald, für das Stadtdekanat Köln im Vorstand der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit.

Der WDR hat in seiner Lokalzeit nicht nur von der Mahnwache berichtet, sondern auch vom Mittagsgebet im Kölner Dom. Darüber hinaus hat er den Stadtdechanten, Monsignore Robert Kleine, interviewt. In der Mediathek ist der Beitrag bis zum 17. Oktober abrufbar. Auf Youtube sind die Beiträge der Mahnwache zu sehen und nachzuhören.

 

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