Die Große Transformation: Podium im DOMFORUM mit dringlichen Appellen an Kirche und Gesellschaft

28. September 2022; ksd

 

Köln. „Wir müssen massiv runterfahren!“ Die CO2-Emissionen, den Energie- und Ressourcenverbrauch, Konsum, das bisherige wohlstandsge- und verwöhnte Verhalten. Die Theologin und Aktivistin Dr. Gudula Frieling vom Ökumenischen Institut für Friedenstheologie lässt daran keinen Zweifel. Als Teil der Bewegungen „Die Kirche(n) im Dorf lassen“, „Extinction Rebellion“ und „ Scientist Rebellion“ war sie jetzt zu Gast im DOMFORUM beim Podium „Die Große Transformation. Welche gesellschaftlichen und kirchlichen Kulturen des Wandels brauchen wir jetzt?“. Der Abend war geprägt von dringlichen Appellen des Podiums und des Publikums.

„Wir müssen ungefähr 70 bis 80 Prozent runter“, betonte Frieling. „Wir müssen uns einfach eingestehen, dass wir selber, also die reichsten zehn Prozent auf dem Planeten, 50 Prozent dieser Emissionen verursachen. Auch wenn wir das nicht wollen. Es ist eben so: Je höher unser Einkommen ist, je mehr sind wir mitverantwortlich, je größer ist unser Beitrag zu diesem Elend.“

Frieling will aufrütteln, doch ist man sich auf dem ökumenisch besetzten Podium auch einig: Bei solchen Veranstaltungen erreicht man sowieso „nur“ die, die sich der Thematik und Problematik von Klimawandel, Energiekrise und der Notwendigkeit für einen umfassenden gesellschaftlich-globalen Wandel schon bewusst sind. Darum muss das Thema weitergetragen werden – in die Kirchen, Gemeindehäuser und kirchlichen Akademien, in Kitas und Schulen, auf die Straßen. Und letztlich überallhin, wo Menschen sich begegnen und miteinander sprechen.

 

„Es ist DIE zentrale Krise“

 

Vor rund vier Jahren sei ihm klargeworden, dass die Klima- und ökologische Krise nicht eine von mehreren Krisen ist, sondern dass es DIE zentrale Krise ist, erzählt Professor Dr. Nikolaus Froitzheim. Der Geologe von der Universität Bonn engagiert sich ebenfalls bei „Extinction Rebellion“ und „Scientist Rebellion“. „Denn sie stellt alles infrage. Und deswegen habe ich das ganz oben auf meine Agenda gesetzt. Das ist immer die Nummer Eins“, so Froitzheim. Er habe „sehr viele Sachen“ ausprobiert, bis zum zivilen Ungehorsam. „Ich habe mich in Berlin auf ’ne Straße geklebt und so weiter.“

Die Klima- und ökologische Krise ist für Froitzheim auch eine Frage der christlichen Barmherzigkeit. Denn sie finde jetzt statt in den Ländern des globalen Südens. In Pakistan seien vor wenigen Wochen 1500 Menschen gestorben bei einer Flutkatastrophe, bei der ein Drittel des Landes unter Wasser gestanden habe. „800.000 Häuser sind zerstört worden. Wo Menschen drin gewohnt haben. Dort findet die Katastrophe jetzt statt!“, betont Froitzheim. Woanders, etwa am Horn von Afrika, fallen die Regenzeiten aus. Es kommt zu langen Dürrezeiten, die Hunger und andere Probleme nach sich ziehen.

„Wir betrachten die Sache immer aus Deutschland“, kritisierte der Wissenschaftler und Aktivist. „ Wir müssen unsere Wirtschaft schützen und so weiter. Wir müssen weiter diese Blechpanzer produzieren, weil da Arbeitsplätze dranhängen. In Pakistan emittieren die Menschen eine Tonne CO2 pro Kopf pro Jahr. Wir in Deutschland emittieren sieben Tonnen CO2 pro Jahr pro Kopf. Mit welchem Recht?“

Unbarmherzig mache man in Deutschland weiter wie zuvor. „Und es wird immer schlimmer“, konstatierte Froitzheim. Von 2020 auf 2021 seien die Emissionen von Treibhausgasen in Deutschland angestiegen, von 2021 aufs erste Halbjahr 2022 noch einmal und es sehe so aus, als ob sie weiter ansteigen. „Deswegen ist es für mich eine Frage der Barmherzigkeit. Ich fange erst gar nicht an, von der Zukunft zu reden, was mit unseren Kindern und Enkeln passiert. Denn die Richtung, die wir haben, ist die falsche!“, sagte Froitzheim unter großem Applaus mit Blick auf globale Gerechtigkeit.

 

Kirchen sollen Mahner, Mittler und Motor sein

 

Dass von den Kirchen mehr Engagement für das Klima und den Wandel erwartet wird, wurde an diesem Abend mehrfach deutlich. Die Kirchen müssten „Mahner, Mittler und Motor“ der Klima- und Wandelbewegungen sein, forderte Professor Dr. Uwe Schneidewind, ehemals Präsident des  „ Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie“ und jetzt Oberbürgermeister von Wuppertal.

Priester sollten regelmäßig über das Thema predigen, Pfarrgemeinderäte und Presbyterien dafür sorgen, dass die Klimakrise „mindestens einmal alle vier Wochen“ im Gottesdienst angesprochen werden, lautete ein Vorschlag und eine Forderung aus dem Publikum.

„Die Kirche hat Räume“, erinnerte Dr. Christian Weingarten, Leiter der Abteilung Schöpfungsverantwortung und Umweltbeauftragter des Erzbistums Köln. „Diese Räume müssten wir öffnen, für die Planung von Demonstrationen oder dafür, wie man Lebensmittel retten kann, oder anderes.“ Allerdings habe man auch die Erfahrung machen müssen, dass es mittlerweile lokale Umweltinitiativen gebe, die mit der Kirche nicht oder nicht mehr zusammenarbeiten wollen.

Zugleich verwies Weingarten aber auch darauf, wie vieles schon in Gang gesetzt oder umgesetzt worden sei. So gibt es im Erzbistum beispielsweise einen Biodiversitätscheck für Gemeinden, der sie dabei unterstützt, auf ihren Grundstücken und an ihren Gebäuden die biologisch-ökologische Vielfalt von Tier- und Pflanzenwelt zu bewahren und zu verbessern. An 33 Schulen im Erzbistum Köln werde in einem gemeinsamen Projekt mit Greenpeace der ökologische Fußabdruck berechnet. Nicht zuletzt will Weingarten die erzbischöfliche Verwaltung selbst und kirchliche Institutionen für das Thema Klimaschutz und Umweltmanagement sensibilisieren und zu nachhaltigem Verhalten motivieren.

Dem Vorwurf, die Kirche tue zu wenig begegnete er mit dem Hinweis, dass er vor drei Jahren als Einzelner in seinem Arbeitsbereich gestartet sei und nun eine Abteilung mit acht Mitarbeitenden leite, die Anfang 2023 auf zwölf aufgestockt werde. Gleichwohl fordert auch der Diplom-Ingenieur „ mehr“ von der Kirche. „Wir können als Kirche Vermittler sein zwischen sozialen und ökologischen Fragen“, sagte Weingarten. „Wir können nicht mehr nur Natur- oder Umweltschutz machen, sondern diese ganze Dimension hat auch immer eine ganz große soziale Komponente. Das sehen wir jetzt gerade auch in der ganzen Energiekrise.“ Die Kirche müsse eine gesellschaftliche Spaltung verhindern und dürfe die Menschen, die durch die Energiekrise in Not geraten, nicht aus dem Blick verlieren. Zugleich sei es ihre Aufgabe, den notwendigen Wandel beim Umgang mit Energien und Ressourcen auch als Chance zu kommunizieren.

 

Mut und Hoffnung nicht verlieren

 

Eine der Kernfragen sei, wie man die Menschen erreiche und für das Thema gewinne, sagte Dr. Martin Horstmann, Studienleiter an der evangelischen Melanchthon-Akademie. Dabei dürften die seelsorgliche und emotionale Arbeit nicht vergessen werden.

Während Froitzheim mit Blick auf die Bewusstseinsbildung in Kindertagesstätten und Schulen betonte, dass man die dringenden Fragen und Herausforderungen nicht der jungen Generation aufbürden dürfe, meinte Weingarten, dass man schon über Kitakinder die Eltern erreichen und für das Thema sensibilisieren könne, wenn die Kinder zu Hause davon berichten, was sie in der Kita lernen und erleben. Einig waren sich Podium und Publikum, dass jetzt jede und jeder gefragt und gefordert ist: „Das Problem sind unsere Generationen“, lautete die Botschaft.

Die Grenzen der Politik offenbarte Uwe Schneidewind, der seit rund zwei Jahren Wuppertaler Oberbürgermeister ist. Der Grünenpolitiker erklärte, er sei binnen seiner Amtszeit in die Rolle des Oppositionsführer gerutscht, so schwierig sei es, auf der kommunalen Ebene eine Mehrheit für Maßnahmen wie autofreie Innenstädte zu finden. Mutige Entscheidungen würden bisweilen von Widerstand vor Ort ausgebremst.

Gleichzeitig plädierte der Wirtschaftswissenschaftler, der von 2011 bis 2017 auch Mitglied im Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages war, dafür, angesichts der gegenwärtigen Krisen und Veränderungen nicht den Mut und die Hoffnung zu verlieren, sondern sich aktiv zu engagieren.

Immer wieder wurde an diesem Abend zum Engagement aufgefordert. Gudula Frieling rief dabei unter großem Applaus zum zivilen Ungehorsam auf. Die Dringlichkeit der Lage sei noch immer nicht jedem Menschen bewusst. „Wir müssen jetzt Schluss machen“, betonte sie und forderte etwa, „Luxuskonsum“ zu verbieten und Autos aus den Straßen zu verbannen. „Wir brauchen eine Klimarevolution!“, rief die Aktivistin unter großem Applaus ins Foyer des DOMFORUMs.

 

Autorin: Hildegard Mathies

 

www.klima-kirche.de

 

Veranstalter des Abends waren neben dem Katholischen Stadtdekanat Köln die evangelische Melanchthon-Akademie und das Katholische Bildungswerk Köln. Das Podium ging zurück auf eine Einladung von Stadtdechant Msgr. Robert Kleine an die Bewegung „Extinction Rebellion“, nachdem diese am Abend des Dreikönigstages mit einer Protestaktion den Gottesdienst im Kölner Dom gestört hatte. Kleine, der auch Domdechant ist, hatte damals die Situation zu entschärfen versucht und die Aktivisten zur Beendigung ihrer Aktion aufgefordert. Er betonte damals und nochmals zur Eröffnung der Podiumsdiskussion, dass es sinnvoller sei, das Gespräch miteinander zu suchen und zu führen, zumal die Bewahrung der Schöpfung und das Engagement für den Klimaschutz zu den Kernanliegen des Christentums gehören. Das Stadtdekanat Köln ist Mitglied der ökumenischen Initiative für Klimagerechtigkeit, „Churches for Future“.

 

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