Dreikönigsempfang 2022: Kleine und Stiels fordern Wandel in Kirche und Gesellschaft

10. Mai 2022; ksd

Köln. Zum ersten Mal seit 2020 luden der Katholikenausschuss in der Stadt Köln und das Katholische Stadtdekanat Köln wieder zum Dreikönigsempfang ein. Coronabedingt war er im vergangenen Jahr entfallen. Rund 140 Persönlichkeiten aus Politik und Religionsgemeinschaften, Wirtschaft, Kultur und Medien versammelten sich im Garten der Religionen bei InVia im Kölner Süden. In ihren Ansprachen forderten sowohl Stadtdechant Msgr. Robert Kleine als auch der Vorsitzende des Katholikenausschusses, Gregor Stiels, einen Wandel in Kirche und Gesellschaft.

Der Kölner Stadtdechant berichtete mit Blick auf die „enorme Vertrauens- und Glaubwürdigkeitskrise“ der Kirche und der hohen Zahl von Kirchenaustritten – rund 12.000 allein in Köln (2021) – von vielen Gesprächen, in denen ihm die Menschen von ihrer Fassungslosigkeit, ihrem Ärger und ihrer Resignation berichten. All das könne er verstehen, so Kleine. „Auch ich bin fassungslos über die Verbrechen und wie in der Vergangenheit mit den Opfern sexualisierter Gewalt umgegangen wurde und zum Teil noch umgegangen wird“, sagte Kleine. „Auch ich ärgere mich auch über vieles, was ich hören und lesen muss.“

Zugleich sei er aber fest davon überzeugt, „dass die Botschaft Jesu aktueller ist denn je“ und „ dass das Evangelium eine Strahlkraft hat, die zurzeit leider verdunkelt ist und verdunkelt wird – und zwar aus der Kirche heraus“. Von der verfassten Kirche fordert Kleine: „Fehler eingestehen, sich neu aufstellen, zuhören, sich Veränderungen nicht verschließen, Konsequenzen ziehen, andere Positionen zu verstehen suchen, sich selbst nicht so wichtig nehmen, sich beraten lassen, authentisch reden und handeln, die Erkenntnisse anderer Wissenschaften annehmen und ernstnehmen, in Dialog treten, die eigene Blase verlassen – all das sind Herausforderungen und Voraussetzungen zugleich, um eine demütige und lernende Kirche zu werden – die dann langsam wieder Glaubwürdigkeit zurückerlangen kann – und der am Ende vielleicht auch wieder Vertrauen geschenkt wird.“

 

Für eine moderne, aufgeklärte und freiheitliche Kultur und Kirche

 

Hoffnung macht ihm der Beschluss des Erzbistums Köln, der sich aus der Beteiligung vieler Menschen zur Weltsynode (2021 bis 2023) ergeben hat. Der Stadtdechant zitierte die Präambel: „ Es geht darum, das Evangelium im Kontext einer modernen, aufgeklärten, freiheitlichen und an den Menschenrechten orientierten Kultur zu verkünden.“ Gefordert werde die „Überwindung des monarchischen Selbstverständnisses zugunsten einer Kirche von der Basis her mit mündigen Kirchenmitgliedern und einer Willkommenskultur, in der sich alle in der Gemeinschaft der Glaubenden vollumfänglich angenommen fühlen“. Kleine weiter: „Also, das klingt schon mal nicht schlecht, oder besser gesagt: das klingt sogar gut.“

Stadtdechant Kleine erneuerte das Eintreten der katholischen Kirche in Köln für Demokratie und ein friedliches Miteinander sowie gegen Antisemitismus und Rassismus. Dabei rief er die Kölnerinnen und Kölner auch dazu auf, am kommenden Sonntag, 15. Mai, bei der Landtagswahl abzustimmen. „Mit Blick auf so viele Länder, in denen Menschen auf die Straße gehen, um frei wählen zu dürfen und mit Blick auf die Ukraine, wo ein demokratischer Staat angegriffen wird, sollten es allen Kölnerinnen und Kölner eine Ehre und zugleich eine demokratische Selbstverständlichkeit sein, ihre Stimme abzugeben. Durch eine hohe Wahlbeteiligung können wir in Köln unsere Wertschätzung für die Demokratie in unserem Land sowie unsere Unterstützung für die Demokratiebewegungen weltweit auszudrücken.“

 

Kirche an der Seite der Stadtgesellschaft bei aktuellen Herausforderungen

 

Oberbürgermeisterin Henriette Reker, die auch selbst eine Ansprache hielt, versicherte Kleine, dass das Stadtdekanat mit seinen Gemeinden und Einrichtungen weiterhin gemeinsam mit der Stadtverwaltung an den aktuellen Herausforderungen für die Stadtgesellschaft arbeiten werde. Als Beispiele nannte er verschiedenen „Baustellen in unserer Stadt“ – „und ich meine nicht nur die Brücken, ich meine nicht nur die Frage von Fahrradspuren und Ausbau des ÖPNV, ich meine den Bereich der Kitas und der Schulen, von denen wir zu wenige haben, ich meine das Bereitstellen und Fördern von bezahlbarem Wohnraum, ich meine den Blick auf die Menschen in prekären Lebenssituationen, die vermehrt und in größerer Zahl zu unseren Tafeln und Hilfsangeboten kommen. Ich meine Kultur-, Bildungs- und Fortbildungsangebote gerade auch für die, die sich das nicht leisten können.“

 

Dankbar für Solidarität und Unterstützung für ukrainische Geflüchtete

 

Bewegt und dankbar zeigte sich der Stadtdechant über die vielfältige Unterstützung und Hilfe für die Menschen aus und in der Ukraine. „Ich hätte nie gedacht, dass 1900 Kilometer von Köln entfernt in Europa noch einmal Bomben fallen und Menschen töten würden“, sagte Kleine. Die Kölnerinnen und Kölner setzten in diesen Zeiten klare Zeichen der Solidarität mit der Ukraine, gegen Krieg und für Frieden. Das habe einige Tage nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs mit der beeindruckenden und bewegenden Friedensdemonstration am Rosenmontag begonnen. Und mit Blick auf die Demonstrationen am vergangenen Sonntag fuhr Kleine fort: „Diese Solidarität war auch gestern eindrucksvoll sichtbar beim vom ,Blau-Gelben Kreuz‘ organisierten ,March of the Nations‘ gegen den Krieg in der Ukraine, bei dessen Schlusskundgebung auf dem Heumarkt unter anderem unsere Oberbürgermeisterin sprach und den gestrigen pro-russischen Autokorso ,unsäglich‘ nannte. Wer den Angriffskrieg einer Diktatur gegen eine Demokratie in Europa billige oder unterstütze, müsse mit der Gegenwehr der Kölnerinnen und Kölner rechnen. Hass, Gewalt und Diktatur werde kein Raum geboten. Liebe Henriette Reker, danke! Genaus so ist es!“

Zugleich gebe es in der Domstadt viele Formen der Unterstützung für die zu uns geflüchteten Menschen aus der Ukraine. „Auch hier sind wir als Stadtdekanat, Kirchengemeinden und Sozialverbände gerne und selbstverständlich Partnerinnen und Partner an der Seite der Stadt und der Hilfsbedürftigen, besonders der Kinder“, betonte Stadtdechant Msgr. Robert Kleine. „Das ist es, was wir tun können. Und uns einsetzen für den Frieden im Großen und im Kleinen – und um den Frieden beten.“

 

„Jetzt ist die Zeit für Umkehr, Buße und Aufbruch“ 

 

Auch Gregor Stiels, der Vorsitzende des Katholikenausschusses in der Stadt Köln, nahm Bezug auf die Krise der Kirche im Erzbistum Köln.  Wer sich in der Kirche weiterhin engagiert, erlebe vor Ort vielfach eine fröhliche, aktive und offene Kirche. „Eine Kirche, die immer noch da und erlebbar ist, aber kaum noch wahrgenommen wird“, bedauerte Stiels. „Zu sehr bestimmen seit Jahren die Haltung der Bistumsleitung – zum Beispiel sich einer moralischen Aufarbeitung zu entziehen – und der intransparente Umgang mit dem Missbrauchsskandal und weitere negative Themen die öffentliche Wahrnehmung.“

Es könne nicht der Anspruch von Kirche sein, uneingeschränkt das zu tun, was Gerichte nicht aufklären und verurteilen können, was kirchliche und weltliche Paragraphen erlauben. „Um Glaubwürdigkeit und Vertrauen wieder zu erlangen, reicht es nicht aus Verwaltungsstrukturen und Abläufe zu verändern. Nichts weniger als die Haltung des Wegsehens und Weghörens, die Haltung des Verschleierns und Vernebelns, die Haltung des Ausgrenzens und Beharrens, muss sich sofort und spürbar verändern“, forderte der Katholikenusschuss-Vorsitzende und stellte einen Katalog weiterer Forderungen und notwendiger Konsequenzen auf: „Ab sofort müssen die das Sagen haben, die wir verletzt haben, ab sofort müssen die das Sagen haben, die wir ausgegrenzt haben, ab sofort müssen die das Sagen haben, die wir mundtot gemacht haben. Jetzt ist die Zeit einer größtmöglichen Offenheit und Transparenz, jetzt ist die Zeit von Wahrnehmen, Erkennen und Bekennen eigener Fehler, jetzt ist die Zeit für Umkehr und Buße in unserem Bistum, jetzt ist die Zeit für Aufbruch!“

Dies sei scheinbar schwer bis unmöglich, „weil die Forderung vieler nach weitreichenden Reformen auf der einen Seite zu reflexhafter Abwehr, Rückzug und Mahnung einer Protestantisierung und zum Untergang des Abendlandes auf der anderen Seite führen“. Wichtiger sei deshalb vielleicht das „wie wir dies wollen“ statt des „was wir wollen“, so Stiels, „also die Frage nach Haltung und Werkzeugen“ .

 

Dank an Diözesan-Administrator Rolf Steinhäuser

 

„Viel geht, wenn Vertrauen geht!“, zitierte Stiels aus einem Buch von Pfarrer Franz Meurer. „Wir konnten es kurz erfahren, mit Ihnen als Diözesan-Administrator, lieber Herr Weihbischof Steinhäuser“ , wandte er sich an den ehemaligen Diözesan-Administrator, der am 12. Mai seinen 70. Geburtstag feiert. „Ihr Zuhören, ihr Zutrauen, ihre Offenheit über eigene Grenzen und Möglichkeiten und ihre Transparenz haben uns in dieser kurzen Zeit sehr gut getan, vielen Dank dafür!“

Wenn kein Vertrauen da sei, gehe vieles nicht, betonte Stiels weiter. „Und das ist der Grund, warum wir seit Jahren in diesem Bistum nicht weiterkommen. Der Glaube daran, dass mit unserem Kardinal der dringend notwendige Kulturwandel stattfinden kann, ist bei mir kaum vorhanden. Deutliche Handlungen, Zeichen und Signale die dafür notwendig sind, sehe ich nicht.“

Dazu komme, dass verloren gegangenes Vertrauen nur sehr mühsam und zeitaufwendig, vielleicht gar nicht mehr aufgebaut werden könne. „Aber beides wird jetzt unbedingt gebraucht: Zum einen der Glaube an den Kulturwandel in unserem Bistum und zum anderen das notwendige Vertrauen dafür in die Bistumsleitung.“

 

„Kirche kreist zu sehr um sich selbst“

 

Aktuell drehe sich, etwa im Diözesanpastoralrat, zuviel um die Frage, „ob und wie wir mit Kardinal Woelki weiterarbeiten können und ich bin wenig optimistisch, dass diese Frage in den nächsten Jahren positiv für unser Bistum gelöst wird“, erklärte Stiels. Das sei kaum noch vermittelbar, angesichts der drängenden Themen in der Welt, im Erzbistum und in der Stadt Köln. Das Zweite Vatikanische Konzil habe in der Pastoralkonstitution „Gaudium et Spes“ klar formuliert, welche Rolle die Kirche in dieser Welt spielen solle: „Menschen zur Sinnfrage anrühren, die Menschenwürde vor Meinungsschwankungen schützen, Dienst an den Armen leisten und die Einheit der Menschheit befördern.“ Stiels‘ Kritik: „Wir vernachlässigen den in ,Gaudium et Spes‘ formulierten Auftrag und entfernen uns von der Gesellschaft, indem wir immer wieder um uns selbst kreisen.“

Die Stimme der Kirche sei aktuell viel stärker gefordert als sie vernehmbar sei, so der Vorsitzende des Katholikenausschusses. In Europa tobe ein nicht für möglich gehaltener Krieg. Fast täglich überschlügen sich die Nachrichten mit neuen Gräueltaten und Kriegsverbrechen. Staat und Gesellschaft könnten die Kirche gut gebrauchen, „nicht nur bei der Betreuung und Versorgung der vielen Menschen, die auf der Flucht sind“, so Stiels. „Viele Menschen brauchen auch Halt und Orientierung in dieser Zeit.“ Und weiter: „Gegenüber dem lauten und berechtigen Ruf nach der Lieferung von schweren Waffen in das Kriegsgebiet, als vielleicht einzigen Ausweg, fehlt mir die deutlich vernehmbare Stimme von Kirche, die alternative Wege und Möglichkeiten aufzeigt und sich für diese starkmacht.“

 

Keine Geflüchteten erster, zweiter, dritter Klasse

 

Ihm fehle die deutlich vernehmbare Stimme der Kirche, wenn es Geflüchtete erster, zweiter und dritter Klasse gebe. Stiels zitierte Ayse Tekin vom Runden Tisch für Integration: „Erinnern wir uns an das Gefühl, wie gut es tut, den Menschen aus der Ukraine zu helfen. Ihnen unsere Türen und Herzen zu öffnen. Erinnern wir uns an das Gefühl, wenn in Zukunft auch Menschen aus anderen Staaten vor uns stehen, die vor Gewalt, Krieg und unmenschlichen Bedingungen fliehen mussten. Sie haben unser Willkommen und unsere Hilfe genauso verdient!“

Für Christinnen und Christen sei jeder Mensch ein Ebenbild Gottes, dem deshalb unabhängig von Herkunft, Kultur und Religion die gleiche Würde zukommen müsse. „Das ist unser Anspruch, daran muss man uns erkennen!“, betonte Stiels und ergänzte: „Das ist im Übrigen auch der Grund, warum man als Christ die AfD nicht wählen kann. Die sehen diesen Grundsatz nämlich völlig anders.“

 

Pandemie, Klimakrise und Mangel an Wohnraum

 

Auch mit Blick auf die Corona-Pandemie formulierte der Katholikenausschuss-Vorsitzende Kritik: „ Auch hier fehlt mir die deutlich vernehmbare Stimme von Kirche, wenn Regeln und Gesetze Menschen so sehr isolieren, dass sie vereinsamen oder in Krankheit und Sterben allein gelassen werden. Bei den vielen schwierigen Entscheidungen, die dazu in den letzten Wochen und Monaten getroffen werden mussten, ist mir dieser Aspekt zu kurz gekommen und muss bei zukünftigen Entscheidungen eine wesentliche Rolle spielen!“

Krieg und Pandemie hätten die Klimakrise fast vergessen lassen. „Auch aus Gründen der Friedenssicherung müssen wir uns von den immer knapper werdenden fossilen Brennstoffen lösen und neue Wege gehen“, forderte Stiels. Er sehe noch viele ungenutzte Potenziale, die möglich wären, wenn die Kirchen und die Stadt Köln sich in dieser Frage enger vernetzten und gemeinsam Ideen entwickeln würden.

Die Kirche solle nicht zuletzt auf den eklatanten Mangel an bezahlbaren Wohnraum in der Stadt näher schauen sowie die damit verbundene Diskriminierung bei der Wohnungssuche. „Wer den ,falschen‘ Namen hat, fremd aussieht oder gar als Jude oder Muslim erkannt wird, hat es schwer eine Wohnung zu bekommen, gerade auf dem angespannten Kölner Wohnungsmarkt.“ Das habe gerade erst eine Studie, beauftragt vom Runden Tisch für Integration, festgestellt. In Köln fehlen 86.000 Wohnungen, kritisierte Stiels, vor allem für Menschen, die von Armut bedroht oder arm seien. „Das können wir doch nicht so hinnehmen!“

„Wie können wir das ändern?“, fragte Stiels und nannte ein Beispiel: Ein „bemerkenswertes Projekt“ des Sozialdienstes Katholischer Männer (SKM) sei jetzt in Köln eröffnet worden. „Ein lukratives Grundstück in Nippes ist nicht an höchst bietende Investoren verkauft worden, es wird nicht der erdenklich höchste Gewinn herausgepresst. Es sind 37 Wohnungen mit Blick auf Agneskirche und Dom entstanden, die bewohnt werden von Menschen, die am vermeintlichen Rand der Gesellschaft stehen und sich niemals eine solche Wohnung in dieser Lage hätten leisten können“, erzählte Stiels. Ein Ziel sei es, dass diese Menschen ein Teil des Veedels würden und nicht an den Rand gedrängt werden. „Wir brauchen das aber nicht nur ein Mal in Nippes! Wir brauchen das 86-mal in jedem Kölner Veedel“, forderte der Katholikenausschuss-Vorsitzende Gregor Stiels abschließend.

 

Die Rede von Stadtdechant Msgr. Robert Kleine können Sie hier nachlesen.

 

Die Rede des Katholikenausschuss-Vorsitzenden Gregor Stiels können Sie hier nachlesen.

 

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