„Es geht um Menschen, nicht um Aktenzeichen“: Stellungnahme von Stadtdechant Kleine zur Vorstellung des Kölner Missbrauchs-Gutachtens

18. März 2021; ksd

Foto: © Katholisches Stadtdekanat Köln

Köln. Am Donnerstag, 18. März 2021, hat die Kölner Kanzlei Gercke-Wollschläger ihr Gutachten zum Umgang mit sexuellem Missbrauch im Erzbistum Köln vorgestellt sowie an Kardinal Rainer Maria Woelki und Peter Bringmann-Henselder vom Betroffenenbeirat des Erzbistums übergeben. Das Katholische Stadtdekanat Köln veröffentlicht dazu eine Stellungnahme von Stadtdechant Msgr. Robert Kleine. Im Wortlaut:

 

Ich begrüße die heutige Veröffentlichung des Gutachtens der Kanzlei Gercke-Wollschläger. Nach seinem Amtsantritt als Kölner Erzbischof hatte Kardinal Woelki eine solche juristische Aufarbeitung der Missbrauchsfälle angekündigt und in Auftrag gegeben. Mit dem heutigen Tag ist diese Zusage für die Jahre 1975-2018 umgesetzt. Dies ist ein weiterer und wichtiger Schritt des Aufarbeitungsprozesses und der Prävention im Erzbistum Köln.

Bei allen Befassungen mit der Missbrauchsthematik müssen immer die Betroffenen im Vordergrund stehen. Die furchtbaren Verbrechen wurden von Tätern verübt und von deren Vorgesetzten – wie jetzt von den juristischen Gutachtern eindeutig belegt – zu häufig nicht verfolgt, sondern stattdessen oft verharmlost und vertuscht. Doch verübt wurden diese Verbrechen an Kindern und Jugendlichen. Mehr als die Hälfte dieser Opfer waren unter 14 Jahre alt. Sie leiden auch nach Jahren und Jahrzehnten psychisch und physisch unter dem ihnen angetanen sexuellen Missbrauch. Oft ist ihr ganzes Leben und das ihrer Angehörigen dauerhaft beeinträchtigt. Darum möchte ich nochmals betonen: Es geht nicht um Aktenzeichen; es geht in jedem einzelnen Fall um konkrete Menschen, denen in unserem Erzbistum sexualisierte Gewalt bis zur Vergewaltigung angetan wurde! 

Nur durch Gerechtigkeit für die von Missbrauch Betroffenen kann kirchlicherseits Vertrauen zurückgewonnen werden. Maßstab allen Handelns und der nächsten Schritte muss es daher sein, dass die Kirche von Köln die Opfer stärker als bisher in den Blick nimmt, auf sie hört und mit ihnen an der Aufarbeitung und Prävention arbeitet.

Es erschreckt mich immer wieder, dass in den zurückliegenden Jahrzehnten ­– aktenkundig und nunmehr gutachterlich bestätigt – Missbrauchsfälle im Erzbistum Köln von den Verantwortlichen nicht ausreichend und konsequent verfolgt wurden. Das Ausmaß der Fahrlässigkeit und offenbar systemimmanenten Unterlassung scheint nach einem ersten, naturgemäß flüchtigen Einblick in das heute vorgestellte Gutachten weit größer zu sein, als ich mir das vorstellen konnte.

Es ist für mich nur folgerichtig, dass bereits am heutigen Tag persönliche Konsequenzen gezogen wurden, auch wenn ich mir diese bereits zu einem früheren Zeitpunkt des Aufklärungsprozesses gewünscht hätte. Zudem muss der juristischen Aufarbeitung des bisherigen Umgangs mit Missbrauchsfällen – wie auch von den Gutachtern der Kanzlei Gercke-Wollschläger bei der Vorstellung der Untersuchung deutlich gemacht – eine moralische Bewertung des Verhaltens der Verantwortlichen folgen. Ich erwarte, dass auch aus dieser moralisch-ethischen Aufarbeitung im Erzbistum Köln Konsequenzen gezogen werden.

Ebenso müssen die bereits von der im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz 2018 veröffentlichten MHG-Studie angesprochenen übergreifenden Themen „Machtmissbrauch, Sexualmoral und priesterliche Lebensform“ weiter interdisziplinär in unserem Bistum und auf dem Synodalen Weg diskutiert und beraten werden.

 

Info: 

Das von der Kanzlei Gercke-Wollschläger vorgestellte Gutachten trägt den Titel „ Pflichtverletzungen von Diözesanverantwortlichen des Erzbistums Köln im Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen und Schutzbefohlenen durch Kleriker oder sonstige pastorale Mitarbeitende des Erzbistums Köln im Zeitraum von 1975 bis 2018. Verantwortlichkeiten, Ursachen und Handlungsempfehlungen.“

Der Titel der von der Deutschen Bischofskonferenz beauftragten und 2018 vorgestellten MHG-Studie lautet „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“.

 

Mehr Informationen unter www.erzbistum-koeln.de

 

Im Beitrag auf Radio Köln bekräftigt Stadtdechant Robert Kleine, dass der juristischen eine moralische Aufarbeitung folgen muss. Erst danach kann die Kirche gemeinsam mit den Menschen nach vorne schauen, „auf Augenhöhe, nicht von oben herab“.

 

Zu Jahresbeginn hatte sich der Kölner Stadtdechant in mehreren Interviews klar für Konsequenzen aus der Aufarbeitung des Missbrauchs ausgesprochen und dafür von vielen Gläubigen, aber auch aus dem binnenkirchlichen Umfeld positive Resonanz und Dankbarkeit erfahren.

  

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