Festtage zu den Kölner Stadtpatronen Ursula und Gereon (bis 21. Oktober) / Festpredigt von Annette Schavan
10. Oktober 2023; ksd
UPDATE (16. Oktober 2023):
„Zeugen der Liebe“ mahnen Christinnen und Christen zum Aufbruch und zu Bewegung
Köln. Erstmals werden in diesem Jahr die beiden heiligen Kölner Stadtpatrone Ursula und Gereon mit einer gemeinsamen Festzeit geehrt. Am Sonntag feierte Kölns Stadtdechant Msgr. Robert Kleine gemeinsam mit den beiden Domkapitularen Dr. Dominik Meiering – Leitender Pfarrer in der Kölner Innenstadt – und Msgr. Markus Bosbach sowie zahlreichen weiteren Geistlichen, Abordnungen aus dem Karneval und Gästen aus Politik, Stadtgesellschaft und Kirche eine festliche Vesper. Die Predigt hielt die frühere Bundesministerin für Bildung und Forschung sowie ehemalige Deutsche Botschafterin im Vatikan, Annette Schavan. In einer großenProzession wurden der Schrein der heiligen Ursula und das Reliquiar des heiligen Gereon dann von St. Gereon nach St. Ursula gebracht, wo sie bis zum Abschluss der Festtage am 21. Oktober zu sehen sind (das Gereon-Reliquiar kehrt danach nach St. Gereon zurück).
„Wir feiern heute Märtyrer und es bewegt uns sicherlich alle, was in diesen Tagen im Heiligen Land geschehen ist und geschieht“, sagte Stadtdechant Msgr. Robert Kleine zu Beginn der Vesper. „ Als Christinnen und Christen schauen wir auf Märtyrer, die ihr eigenes Leben für den Glauben eingesetzt und verloren haben. Nicht auf Menschen, die andere töten und damit meinen, irgendeinem zu dienen, von dem sie denken, das sei ihr Gott, der groß sei und daran Freude habe, wenn sie Tod, Leid und Unmenschlichkeit unter Menschen bringen“, so Kleine. „Märtyrer sind für uns Zeugen der Liebe – zu Gott UND den Menschen“, betonte der Stadtdechant.
„Die Mauern dieser Welt müssen fallen“
Mit Blick auf den Text der Lesung (Offenbarung 7,9-17) sprach Annete Schavan zunächst von dem Bild, „nach dem wir uns gleichsam sehnen: Völker und Nationen, die nicht aufeinander losgehen, die nicht in Skepsis und Distanz bleiben, die miteinander stehen“. Die Schar am Throne Gottes, von der der Evangelist Johannes schreibe, das seien die Bedrängten, „die uns als Christinnen und Christen auch heute am allermeisten beschäftigen müssten, überall auf der Welt“, so Schavan. „Die Menschen an den Peripherien, an den Rändern. Die, die nirgends vorkommen, wenn die großen Worte geschwungen werden. Die, die außen vor bleiben. Die, die ignoriert werden.“
Papst Franziskus lenke auf seinen Reisen immer wieder den Blick auf sie. „In diesen Tagen mit den schrecklichen Ereignissen und der unvorstellbaren Gewalt in Israel erinnere ich mich an das Foto in Bethlehem, wo Papst Franziskus den Wagen, die Kolonne anhalten lässt, aussteigt, auf die Mauer zugeht und seine Hand auf diese Mauer legt (Anmerkung der Redaktion: Es handelt sich um die Mauer zwischen israelischem und palästinensischem Gebiet). Um uns wieder einmal zu sagen, dass die Mauern dieser Welt fallen müssen.“
Doch die Realität sei gerade eine andere – in Kirche und Welt, setzte Schavan ihre Rede fort. „ Wir leben immer mehr in Blasen, die die Verbindung zum Gemeinwesen verloren haben. Richtig ist, was wir richtig finden. Die Vorstellung, dass auch in dem, was jemand anders sagt, etwas Richtiges liegen könnte, kommt uns immer weniger in den Sinn“, kritisierte die Theologin, Philosophin und Erziehungswissenschaftlerin. . „Leise Töne werden überhört. Wer gehört werden will, spitzt zu, wird laut und schreit. Kompromisse werden verpönt, Klartext wird gefordert – auch dort, wo nichts klar ist, wie behauptet.“
„Die Vitalität der Kirche schwindet, wenn sie die Zukunft fürchtet“
Manche in der Kirche täten „schon so als gehörten wir zur Letzten Generation“, so Schavan. „Da scheint es dann als könne die Zukunft nichts Gutes bringen – so als sei das Gute schon verspielt.“ Karl Rahner habe bereits vor mehr als 50 Jahren davon gesprochen, dass die Vitalität und Überzeugungskraft der Kirche schwinde, wenn sie das Neue und Zukünftige fürchte und Sicherheit nur im Rückblick finde – und im Blick voraus verunsichert wirke. „In der Zukunft aber, so hat der gleiche Karl Rahner gesagt, liegt für Christinnen und Christen die eigentliche Provokation“, betonte die frühere Bundesministerin. „Also überzeugt davon zu sein, dass in der Zukunft nicht Untergang und Verderben liegen, sondern wir auf dem Weg zur Ewigkeit, zu Gott sind.“
Eine Provokation seien auch die beiden Stadtpatrone, um die sich viele Legenden rankten. Man wisse „nicht so ganz genau“, wie das mit den Stadtpatronen und ihrem Leben gewesen sei, es gebe Anhaltspunkte und man wisse „das Eine oder Andere“. Schavan weiter: Aber so ganz genau wissen wir auch nicht, was in den Schreinen liegt, die wir durch die Straßen tragen. Das ist aber auch nicht wichtig.“ Die Tradition wisse um die Kraft, die von der Verehrung ausgehe. Das mache die Faszination aus und provoziere zugleich. „Märtyrer sind in der Tradition des Christentums eine große Sache. Märtyrer in den frühen Kirchen – das waren die Vorbilder. Und sind es bis heute. Übrigens für die frühen Kirchen waren sie wichtiger als die Bischöfe. Auch das steckt in unserer Tradition. Da kann man hin und wieder mal dran erinnern“, sagte Annette Schavan und sorgte damit in der vollen Basilika St. Gereon.
Frauen, die in der Kirche Geschichte geschrieben haben
Beide Stadtpatrone imponierten und provozierten bis heute damit, dass sie für ihren Glauben das Martyrium erlitten haben. Die heilige Ursula habe ihre innere Unabhängigkeit und Souveränität „hoch zu schätzen gewusst und durchgehalten“ und mit ihrem Wirken und Werk die Bildungsbewegung der Ursulinen ausgelöst, die bis heute wirksam sei, so Schavan. Das sei keine Selbstverständlichkeit, betonte die Festpredigerin. „Zu allen Zeiten wurde keine Mühe gescheut, Frauen ihre Unabhängigkeit und Souveränität auszutreiben. Vielen blieb nichts anderes übrig, als sich den Abhängigkeiten zu beugen, die andere für sie vorgesehen hatten.“
Zu allen Zeiten habe es aber auch Frauen gegeben, „die ein feines Gespür für die Kraft hatten, die mit ihrer Souveränität verbunden ist. Kraft, die daraus erwächst. Kreativität, die daraus erwächst, die Durchsetzungsfähigkeit, die damit verbunden war“. Auch Katharina von Siena und Edith Stein – beide Patroninnen Europas – gehörten in diese Reihe.
„Ich könnte viele andere großartige Beispiele nennen von Frauen in der Geschichte des Christentums und in unserer Kirche, die Geschichte geschrieben haben. Übrigens auch mehr als zahlreiche Bischöfe zu allen Zeiten“, sagte Annette Schavan und zitierte aus dem Buch „Krypta“ des Theologen Hubert Wolf. Er beschrieb die Autorität, die eine Äbtissin der spanischen Zisterzienserabtei Huelgas bei Burgos früher hatte. „Die Äbtissin war die Landesherrin. Ihr unterstanden die 70 Pfarreien, sie besetzte Stellen. Ihr unterstand der Klerus. So war das“, erklärte Schavan. „Das ist nicht die komische Vorstellung von ein paar wildgewordenen Frauen in der Kirche – so wie manchmal die Dinge dargestellt werden –; so war das in der Tradition. Daran kann die synodale Kirche der Zukunft anknüpfen.“
Märtyrer setzen Zeichen gegen die Gleichgültigkeit
Gereon und Ursula erinnerten auch daran, dass Menschen zu allen Zeiten für ihren Glauben gestorben seien, erinnerte die frühere Vatikanbotschafterin. Die Christenheit sei heute die am meiste verfolgte Religion weltweit. In vielen Teilen der Welt tobten Auseinandersetzungen zwischen Religionen oder von Autokraten gegen Religionen. „Autokraten neigen dazu, Religionen nur zuzulassen, wenn sie sich instrumentalisieren lassen. Das erschreckende Beispiel unserer Tage ist der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill, der den Angriffskrieg Putins auf die Ukraine einen heiligen Krieg nennt“, so Schavan. Damit mache Kyrill die russisch-orthodoxe Kirche zur „Kumpanin der Folter und Zerstörung“.
„Wir beschäftigen uns in Deutschland viel mit der Gleichgültigkeit, die dem Christentum entgegengebracht wird und mit dem Autoritätsverlust der Kirche, der rasant fortschreitet“, sagte Annette Schavan. „Was auf dem Spiel steht, wird uns deutlich, wenn wir uns mit den Geschichten von Verfolgung und Martyrium beschäftigen.“ In Rom habe die Gemeinschaft Sant’Egidio die Kirche San Bartolomeo all'Isola zu einer Gedenkkirche für die Märtyrer des 20. Jahrhunderts gemacht. Dort sei zum Beispiel das Messbuch von Erzbischof Oscar Romero zu sehen. „Wenn ich durch diese Kirche gehe, dann erkenne ich, wie das Martyrium das Christentum bis in unsere Tage hinein prägt. Und dann frage ich mich: Wenn Menschen zu allen Zeiten für ihren Glauben sterben, kann er uns dann gleichgültig sein?“
Christinnen und Christen sollen Pioniere sein
Derr Zugang zu Bildung sei ein Schlüssel für Unabhängigkeit und Souveränität, betonte die frühere Bundesbildungsministerin zum Abschluss. „Es ist Zeit für neue Begeisterung für Bildung und für das, was damit an Teilhabe, an Chancen, an großartigen Geschichten verbunden ist.“
Die Ursulinen hätten die Herausforderungen und Konsequenzen ihrer Zeit nicht beklagt, sondern in Angriff genommen wurden, was „wirklich zu einer Aufbruchstimmung geführt“ habe. „Es ist Zeit für einen Aufbruch, wie ihn die Ursulinen gewagt haben. Die Gesellschaft der heiligen Ursula, wie sie anfangs hießen, wusste, die Souveränität von Menschen braucht diesen Schlüssel, der mit Bildung verbunden ist. Sie wusste – und wir müssen das heute noch viel stärker verstehen: Wohlstand ersetzt Bildung und Kultur nicht“, so Annette Schavan.
„Es ist eine starke Seite der Frauenorden und der Kirchen insgesamt, der Bildung breiten Raum zu geben. IAn mancher Stelle stehe das heute auf der Kippe. „Es darf aber nicht kippen! Es gehört zu der Besonderheit, es gehört zu den großen Stärken in der Geschichte des Christentums, früher als andere gewusst zu haben, was Bildung und Kultur bedeutet, früher als andere in Bildung und Kultur investiert zu haben. Dann kann sichtbar werden, wie ernst diese Kirche und das Christentum den Menschen nimmt und auch, dass wir heute wie damals, als die Ordensfrauen anfingen, Pioniere sein können. Also: nicht immer hinterherhinken, sondern mal ganz vorne sein! Der heilige Gereon und die heilige Ursula können uns, wenn wir uns denn von ihnen und ihren Wirkungen provozieren lassen, ganz schön in Bewegung bringen. Schön wär’s.“
Hildegard Mathies
Festtage der Kölner Stadtpatrone Ursula und Gereon
Köln. Die heilige Ursula und der heilige Gereon sind mit den Heiligen Drei Königen
die Schutzpatrone der Stadt Köln. Couragiert haben sie und ihre Gefolgschaften die christlichen
Werte trotz aller Widerstände vertreten und dafür mit dem Leben bezahlt. Sie gelten seitdem als
Sinnbild für Schutz, Hilfe und Kraft und werden seit Jahrhunderten als Heilige verehrt. Beide
wurden im Laufe der Zeit gleichsam zu Ikonen der Stadt.
Vom 10. bis 21. Oktober laden die Kölner Innenstadtgemeinden dazu ein, die Heiligen zu feiern
und kennenzulernen: ihre Geschichte, die Legenden, die Schätze, die Verehrung und ihre Bedeutung
für die Stadt. Auf dem Programm stehen besondere Gottesdienste, Prozessionen, Führungen und
ein Konzert.
Im Zentrum der Festtage steht eine festliche Vesper mit Bundesministerin a.D. Annette Schavan, die von 2014 bis 2018 Deutsche Botschafterin beim Heiligen Stuhl war, als Festrednerin. Die Vesper am Sonntag, 15. Oktober, feiert Kölns Stadtdechant Msgr. Robert Kleine um 17 Uhr in St. Gereon. Im Anschluss zieht eine Prozession nach St. Ursula.
Am Festtag der heiligen Ursula, Samstag, 21. Oktober, feiert Stadtdechant Msgr. Kleine die Festmesse zum Abschluss der Ursulawoche in St. Ursula (18 Uhr). Die Predigt hält Innenstadtpfarrer Dr. Dominik Meiering.
Weitere Programmpunkte sind eine Festmesse am Dienstag, 10. Oktober, um 19 Uhr in St. Gereon, ein sogenannter Gereon-Walk – besonders als Fußwallfahrt für Soldatinnen und Soldaten der Gereon-Kaserne – am Donnerstag,. 12. Oktober, ab 8 Uhr. Am Freitag, 20. Oktober, findet um 19 Uhr ein Chor- und Orchesterkonzert in St. Agnes statt. Aufgeführt wird die Cäcilienmesse von Charles Gounod. Der Eintritt ist frei.
Das gesamte Programm finden Sie unter www.stadtpatrone.koeln
In drei Radiobeiträgen erzählt Stadtdechant Msgr. Robert Kleine mehr über die Festwoche sowie über die heilige Ursula und den heiligen Gereon.
Im Podcast des Kölner Stadt-Anzeigers sprachen Stadtdechant Msgr. Robert Kleine und der Historiker Professor Dr. Karl Ubl über die heilige Ursula. Die Folge mit dem Titel „Mord, Totschlag und Betrug: Die wahre Geschichte der Heiligen Ursula und der 11000 Jungfrauen“ können Sie hier nachhören.