Hoffnung und Zuversicht im Ungewissen schenken: „Seelsorge und Begegnung“ hilft psychiatrieerfahrenen Menschen in Corona-Krise

1. April 2020; ksd

Köln. Die Corona-Krise löst bei vielen Menschen Ängste und Verunsicherung aus. Die einschneidenden Veränderungen des Soziallebens bedeuten eine zusätzliche Belastung. Menschen mit einer psychischen Erkrankung oder Psychiatrie-Erfahrung trifft diese Zeit oft besonders hart. Die Einrichtung „Seelsorge & Begegnung für psychiatrieerfahrene Menschen“ im Stadtdekanat Köln verzeichnet eine zunehmende Zahl von telefonischen Anfragen und stellt fest, dass die Einsamkeit bei vielen Menschen zunimmt. Die Leiterin, Birgitta Daniels-Nieswand, erklärt im Interview, was Betroffene, aber auch Angehörige und Freunde jetzt tun können.

 

Unsere Gesellschaft erlebt gerade einen Ausnahmezustand. Das soziale Leben ist weitgehend zum Erliegen gekommen, die Arbeit in Einrichtungen wie „Seelsorge & Begegnung für psychiatrieerfahrene Menschen“ ist nicht mehr wie gewohnt im persönlichen Kontakt möglich. Was bedeutet die Corona-Krise für Sie und vor allem für die Menschen, die Sie und Ihr Team begleiten?

 

Birgitta Daniels-Nieswand: Unsere Einrichtung lebt von Begegnung und Austausch – in Einzelgesprächen und in den unterschiedlichsten Gruppen. Somit war die Absage aller Aktivitäten ein heftiger Einschnitt für unsere Besucherinnen und Besucher, die gerade auf soziale Kontakte und ein persönliches Miteinander angewiesen sind.

 

Wie erhalten Sie Ihr Angebot und Ihre Arbeit aufrecht?

 

Daniels-Nieswand: Unser Gesprächsangebot findet zurzeit durch Telefonkontakte, Mails und Briefe statt. Für diejenigen, die die Möglichkeit haben ins Internet zu kommen haben wir unsere Website mit einigen interessanten und stärkenden Impulsen verlinkt. Telefonische Gesprächsanfragen nehmen immer mehr Raum ein, weil die Einsamkeit zunimmt und die ungewisse Zukunft zunehmend als bedrohlich erlebt wird.

 

Was belastet die Menschen besonders?

 

Daniels-Nieswand: Die Tagesstruktur, die auch durch unsere festen Angebote gegeben war, ist verschwunden. Die seelische Stärkung, die unsere Besucherinnen und Besucher durch die menschliche Nähe, das Angesehen werden in der je persönlichen Situation, die Erfahrung von Gemeinschaft, den Austausch in den Gruppen und die spirituellen Impulse erleben, entfällt. Besonders belastend ist für Menschen mit Psychiatrie-Erfahrung, dass die so notwendigen menschlichen Kontakte untersagt worden sind und dass es zurzeit keine Termine gibt, die ihnen einen Grund geben ihre Wohnung zu verlassen und unter Menschen zu kommen. Ihre sowieso oft erlebte Einsamkeit wird dadurch verstärkt und als tiefer Schmerz empfunden.

 

Wie können Sie die Menschen in dieser Situation unterstützen?

 

Daniels-Nieswand: Wir erleben in Gesprächen, dass vor allem das Hören der Stimme, das aufmerksame Zuhören und Wahrnehmen der Not und das Spüren von Verbundenheit ein stärkender und Hoffnung schenkender Moment wird. Hier kann im Miteinandersprechen die Isolation durchbrochen und trostreiche Nähe auf eine andere Art erfahren werden. Die Erinnerung an gemeinsam Erlebtes, an vertraute Texte, Bilder, Gebete und Lieder der Hoffnung kann den Blick weiten und eine Pause in der Endlosschleife der Corona-Thematik ermöglichen.

 

Wie gut gelingt es, den Menschen Hoffnung zu geben?

 

Daniels-Nieswand: Im Verlauf der Gespräche kommen wir immer auch an den Punkt, was in so ohnmächtig machenden Situationen an kreativen Handlungsmöglichkeiten besteht. Da erinnert man sich an alte Freundschaften, die vielleicht wieder neu entdeckt werden können – durch ein Telefonat oder eine Karte. Da bekommt das Aussäen von Blumensamen eine wichtige Dimension. Da wird an Fähigkeiten erinnert, die bisher als ermutigend und Kraft schenkend erlebt wurden – und somit auch an die eigene Selbstwirksamkeit. Da wird dankbar in den Blick genommen, was an Hilfen in der Nachbarschaft plötzlich möglich ist. Da kann ein gemeinsam gesprochenes Gebet und ein Segen am Telefon oder im Brief eine kraftvolle Zusage sein. Dies ist ein nach vorne gerichtetes Tun, das Hoffnung und Zuversicht in all dem Ungewissen schenken kann. Und manchmal ist auch das gemeinsame Lachen möglich, das für einen Moment befreiend wirken kann.

 

Was können Angehörige, Freunde oder Kollegen jetzt für seelisch belastete oder erkrankte Menschen tun, gerade auch, wenn man nicht zusammenlebt und sich nicht sehen darf?

 

Daniels-Nieswand: Angehörige, Freunde, Kolleginnen und Kollegen können ihre Verbundenheit auf vielfältigste Weise zum Ausdruck bringen. Gerade unsere mediale Vielfalt lässt da einiges zu. Wichtig ist es, den Kontakt zu halten und sich Zeit zu nehmen für die Sorgen und Ängste des anderen. Gegebenenfalls kann man auch auf Einrichtungen wie „Seelsorge & Begegnung“, die Telefonseelsorge oder andere hilfreiche Initiativen und Impulse hinweisen.

 

Wie können Betroffene, aber auch andere Menschen, die unter der Krise leiden, besser mit der Situation zurechtkommen – gerade auch, wenn man Panik aufkommen spürt?

 

Daniels-Nieswand: Gerade die sozialen Kontakte müssen neu und anders geknüpft und gelebt werden. Vieles, was selbstverständlich war, ist nicht möglich und doch gibt es eine Menge kreativer Möglichkeiten der Verbundenheit und des Aneinander Denkens. In den Zeiten, wo Angst und Verzweiflung überhandnehmen, wo die Panik einen ergreift, wo der Boden unter den Füßen schwankt, kann der Blick auf unsere Welt, die in dieser schwierigen Situation auf eine ganz andere Weise zusammengerückt ist, ein Moment der Zuversicht sein.  

 

Interview: Hildegard Mathies

 

Mehr Informationen gibt es auf der Internetseite von „Seelsorge und Begegnung“.

Dort finden sich aktuell auch Texte, Tipps,  Hilfen und Hinweise, um mit der Corona-Krise zurechtzukommen.

 

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