Internationaler Kunstwettbewerb des Kölner Doms zum christlich-jüdischen Verhältnis startet

15. August 2023; ksd

 

Köln (mk/ksd). Seit einigen Jahren setzt sich das Domkapitel mit der Frage nach einem angemessenen Umgang mit den zahlreichen Artefakten im Kölner Dom auseinander, die von erschreckender Judenfeindschaft zeugen. Nach einer umfassenden Erforschung und Kontextualisierung dieser Werke in Publikationen, Themenrundgängen und einer Ausstellung soll nun ein neues Kunstwerk für den Dom geschaffen werden.

„Im Bewusstsein der christlich-jüdischen Geschichte soll ein neues Kunstwerk für den Kölner Dom geschaffen werden, das den Blick auf Gegenwart und Zukunft richtet“, sagte Weihbischof Rolf Steinhäuser, Domkapitular und Bischofsvikar für Ökumene und interreligiösen Dialog im Erzbistum Köln, jetzt vor der Presse. 

Als Initialzündung für das Projekt bezeichnete Steinhäuser einen Aufsatz des Theologen Reinhard Hoeps im Kölner Domblatt (2008). Dieser habe mit seiner Sichtweise, dass für die Kritik an Bildern im Kölner Dom kritische Bilder am besten geeignet seien, den entscheidenden Impuls für die Durchführung eines Kunstwettbewerbs gegeben. „Ich bin dankbar, dass uns die Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit mit ihrer Initiative 2016 erneut auf das Thema aufmerksam gemacht hat“, so der Weihbischof.

 

Neue Perspektiven suchen, Erwartungen mutig verwerfen

 

Das Besondere an diesem Wettbewerb werde sein dialogischer Charakter sein, so Steinhäuser weiter. Er solle eine „bewusste Genese, ein Prozess des Zuhörens, des gemeinsamen Ringens und Wachsens“ werden. Bewusst setze das Domkapitel den noch zu findenden Künstlerinnen und Künstlern keine grundsätzlichen Grenzen, wenn es um die räumlichen Gegebenheiten, die Ausmaße und die Materialität des zu schaffenden Werkes gehe.

„Es soll sich um ein dauerhaftes Werk handeln, das die Eigenschaft des Kölner Doms als Sakralraum und seinen Stellenwert als Bischofskirche und damit als Ort repräsentativer Verkündigung und Lehre respektiert“, so Steinhäuser „Und natürlich gilt es, das Werk mit dem Denkmalschutz und dem Status des Doms als Weltkulturerbestätte in Einklang zu bringen. Aber das Spannende und Reizvolle am Wettbewerb wird sein, über die Aussage und die Verortung, die Beschaffenheit und den Charakter des neuen Kunstwerks sorgsam ins Gespräch zu kommen, neue Perspektiven zu suchen, Erwartungen mutig zu verwerfen und Denkhorizonte zu erweitern. Bei allem ist unser Anspruch, einen Prozess mit Vorzeigecharakter anzustoßen.“

 

Dom gibt Auseinandersetzung mit christlichem Antijudaismus besondere Strahkraft

 

„Offenheit und ein konstruktiver Diskurs haben bereits die vorbereitenden Gespräche in unserem interreligiösen Arbeitskreis geprägt – vor allem für das vertrauensvolle Miteinander mit unseren jüdischen Freunden bin ich von Herzen dankbar“, so der Weihbischof. Der Arbeitskreis setzt sich aus Vertretern des Domkapitels, der Synagogen-Gemeinde Köln, der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und dem Evangelischen Kircheverband Köln und Region zusammen. Des Weiteren waren Experten aus Kunst und Kirche vertreten.

„Der Dom ist für alle Kölner, unabhängig ihres Glaubens, ein ganz besonderer und identitätsstiftender Ort“, sagt Arbeitskreis-Mitglied Abraham Lehrer, Vorstandsmitglied der Synagogen-Gemeinde Köln und Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Auch für ihn sei der Kölner Dom ein religiöser Ort, vor allem bleibe er aber das Wahrzeichen der Stadt, auch wenn die Stadtverwaltung die Domspitzen unverständlicherweise aus dem Köln-Logo gestrichen habe.

In der Synagogen-Gemeinde gebe es zwei unterschiedliche Positionen zu antijüdischen Werken im Dom. „Die einen sagen, man muss die Artefakte entfernen – die anderen sprechen sich dafür aus, die Artefakte zu bezeichnen und zu kontextualisieren“, erklärte Lehrer. „Ein neues Kunstwerk soll nun aufzeigen, wie sich das christlich-jüdische Verhältnis zeitgemäß und für die Zukunft inspirierend darstellen lässt. Die Initiative ist eine große Bereicherung und geht auch zurück auf das Gedenkjahr ‚1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland‘. Das Kunstwerk zeigt auch die Notwendigkeit auf, sich heute kritisch mit der Geschichte und den Folgen des christlichen Antijudaismus auseinanderzusetzen. Dass dies in einem der bekanntesten christlichen Gotteshäuser der Welt geschehen soll, verleiht dem Projekt eine besondere Strahlkraft.“

Er sei dem Domkapitel dankbar, dass die Arbeitsgruppe zugelassen und berufen wurde „und dass sie völlig frei arbeiten kann“, sagte Abraham Lehrer. Sie sei zu einem Konsens gekommen, „der seinesgleichen sucht“. Sowohl das Ergebnis der Arbeit als auch die gemeinsame Präsentation der Idee des Kunstwettbewerbs und des neuen Kunstwerkes seien wegweisend für die Zukunft und könnten wegweisend für andere Städte in Deutschland, deren Kathedralen eine große Zahl antisemitischer Artefakte beherberge.

 

Einladungswettbewerb in verschiedenen Phasen – 16 Kunstschaffende werden vorgeschlagen

 

Dr. Stefan Kraus, Arbeitskreis-Mitglied und Leiter des Kolumba, des Kunstmuseums des Erzbistums Köln, erläutert das bis Herbst 2024 angelegte, kooperative Dialogverfahren, durch das sich der Internationale Kunstwettbewerb auszeichnen soll. „Der Wettbewerb wird als Einladungswettbewerb durchgeführt und gliedert sich in zwei Phasen: eine Dialogphase und eine Vertiefungsphase“, erläutert Kraus „Zunächst sind wir auf acht Vorschlagende zugegangen mit dem Anliegen, ihrerseits je zwei Kunstschaffende zu benennen. Maßgeblich für die Auswahl der Vorschlagenden war deren Kenntnis der internationalen Kunstszene. Ausgehend davon werden in der Dialogphase des Wettbewerbs maximal 16 Kunstschaffende aufgefordert, ihre Herangehensweise und Idee für ein dauerhaftes Werk im Kölner Dom zu unterbreiten.“

Eine gemäß den Anforderungen der RPW 2013 (Richtlinie für Planungswettbewerbe) besetzte Jury wähle im Anschluss vier Kunstschaffende für die Vertiefungsphase aus und fordere diese zur weiteren Ausarbeitung ihres Vorschlags auf, so Kraus. Zu den Mitgliedern der Jury zählen unter anderem Rabbiner Dr. Jehoshua Ahrens, ehrenamtlicher Direktor des Centre for Jewish-Christian Understanding and Cooperation in Jerusalem, der Schweizer Jesuit und Judaist Pater Dr. Christian Rutishauser, Professor Dr. Salomon Korn, Architekt und Vorstand der Jüdischen Gemeinden in Frankfurt am Main, und Professor Dr. Jürgen Wilhelm, Vorsitzender der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. „Die von der Jury nach Phase zwei als 1. Preis ausgewählte Arbeit wird dem Domkapitel zur Umsetzung empfohlen. Über die Umsetzung des Wettbewerbsergebnisses entscheidet abschließend das Domkapitel als Auftraggeber.“ Begleitet wird das Wettbewerbsverfahren vom Kölner Architektenbüro „neubig hubacher Architekten“.


Kunst als weitere Facette der Aufarbeitung

 

Diakon Jens Freiwald, Arbeitskreis-Mitglied und stellvertretender Vorsitzender der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, ordnet den Kunstwettbewerb in die Vielzahl von Maßnahmen ein, durch die man die antijüdischen Schmähplastiken im Kölner Dom in den vergangenen Jahren kontextualisiert habe. „In guter Kooperation hat die Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit zu diesem Thema gemeinsam mit dem Domkapitel 2016 die AG ‚Der Kölner Dom und ‚die Juden‘‘ gebildet, die den Anstoß zu einer Reihe von Veranstaltungen, Publikationen, einer Ausstellung und speziellen Schulungen der Domführerinnen und -führer gegeben hat“, rekapituliert Freiwald. „Mit dem zu schaffenden Kunstwerk für den Kölner Dom wird dieser anhaltende Prozess um eine weitere, ganz neue Dimension bereichert. Sie erweitert den Blick auf das christlich-jüdische Verhältnis aus der Perspektive der Kunst selbst. Schon der Weg zu diesem Kunstwerk ist ein Gewinn für den Dialog zwischen unseren Glaubensgemeinschaften.“

Über viele Jahrhunderte hätten die antijüdischen Artefakte in der Kathedfrale „niemanden gestört, der dort Gottesdienst gefeiert hat oder als Besuchender in den Dom kam“, so Freiwald. „ Erst mit dem Entsetzen über die Shoa, den Holocaust, begann christlicherseits ein grundlegendes Umdenken über das Verhältnis zum Judentum. Dieser Paradigmenwechsel manifestierte sich für die Katholische Kirche in der Konzilserklärung ‚Nostra aetate‘ von 1965.“ Für die Evangelische Kirche sei etwa der Rheinische Synodalbeschluss von 1982 zu nennen.

 

Aufarbeitung nicht ohne die jüdische Perspektive

 

Der Kunstwettbewerb sei in gewisser Weise auch Teil eines Aufarbeitungsprozesses des christlich-jüdischen Verhältnisses, „den zunächst einmal wir Christen leisten müssen“ sagte Freiwald weiter. „Denn wir Christen haben das Verhältnis zum Judentum die allerlängste Zeit der Geschichte sehr einseitig und sehr zu Lasten der Juden definiert: Erinnert sei an die zahlreichen Pogrome und Vertreibungen und letztlich an die Shoa, die eine Wurzel auch im christlichen Antijudaismus hatte.“

Als Christen wolle man „diesen Aufarbeitungsprozess heute aber nicht mehr ohne die jüdische Perspektive betreiben“ und sei „insofern auf ein Wohlwollen unserer jüdischen Partner angewiesen, dass wir uns historisch eigentlich nicht verdient haben“, betonte der stellvertretender Vorsitzende der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. „Wir hoffen, dass wir auf diesem Wege die Einseitigkeit der Verhältnisbestimmung im zwischen Christen und Juden immer mehr überwinden können und zu einem immer tieferen gegenseitigen Verständnis gelangen. Und es macht tatsächlich froh, dass in diesem Prozess auch erfahren zu dürfen“, sagte Freiwald in der Rückschau auf die gemeinsame Erarbeitung des Kunstwettbewerbs und der weiteren Weichenstellungen für die Aufarbeitung antijüdischer und antisemitischer Vor- und Darstellungen im Kölner Christentum und im Dom.

 

Themenseite auf koelner-dom.de

 

Über die einzelnen Phasen des Wettbewerbs wird die Öffentlichkeit regelmäßig unterrichtet. Auf der Themen-Webseite www.koelner-dom.de/kunstwettbewerb finden Sie die Ausschreibung, Hintergrundinformationen und regelmäßige Updates zum Wettbewerb.

Ebenso einen Online-Rundgang mit Erklärungen zu den antijüdischen Artefakten im Kölner Dom und die Bestellmöglichkeit der 2021 im Verlag Kölner Dom erschienenen Broschüre „Der Kölner Dom und ‚Die Juden‘ “.

 

Hintergrundinformationen zu den antijüdischen Artefakten im Kölner Dom

 

Sowohl das Judentum als auch das Christentum können auf eine mindestens 1700-jährige Geschichte in der Stadt Köln zurückblicken. Wie kein anderes Bauwerk spiegelt die Ausstattung des Domes das ambivalente Verhältnis der christlichen Mehrheitsbevölkerung zur jüdischen Gemeinde im hohen und späten Mittelalter. Es entwickelte sich von Duldung und einem mehr oder weniger friedlichen Nebeneinander hin zu einer zunehmenden Ausgrenzung und offenen Feindseligkeit und gipfelte schließlich im blutigen Pogrom von 1349 und in der Vertreibung der Juden aus der Stadt 1424. Es finden sich Kunstwerke im Kölner Dom, die sich die jüdische Überlieferung aneignen und christlich deuten, damit aber auch auf die jüdischen Wurzeln des Christentums verweisen.

Daneben steht das durchaus nicht selbstlos erteilte Judenprivileg des Erzbischofs Engelbert von Falkenburg zum Schutz der in Köln lebenden Juden. Vor allem gibt es aber zahlreiche offen feindselige, diffamierende und polemische Darstellungen. Sie zeugen von einem ausgeprägten christlichen Antijudaismus, der in zahlreichen Pogromen mündete und eine wesentliche Quelle für den späteren Antisemitismus bildet. Auch aus dem 19. und 20. Jahrhundert finden sich im Dom neben Stiftungen, die vom regen Anteil jüdischer Bürger an der Domvollendung erzählen, noch Bildwerke, die abwertende judenfeindliche Stereotype und Klischees wiederholen. Die katholische Kirche fühlt sich einer kritischen Auseinandersetzung mit diesem Erbe verpflichtet.

 

Gründung der AG „Der Dom und die Juden“ 2016

 

Eine provokante Kunstaktion Ende der 1990er-Jahre von Wolfram Kastner und eine Tagung in der evangelischen Melanchthon-Akademie 2002, trugen dazu bei, dass 2006 die Dombauverwaltung und die Karl Rahner Akademie (KRA) mit einer Fachtagung den Grundstein für eine tiefgreifende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den antijüdischen Artefakten im Dom legten, erinnerte Diakon Jens Freiwald bei der Pressekonferenz. „Die Namen des damaligen Leiters des Domarchivs, Dr. Rolf Lauer, und des damaligen Leiters der KRA, Dr. Bernd Wacker, dürfen hier nicht unerwähnt bleiben.“

Nachdem die Ergebnisse der wissenschaftlichen Auseinandersetzung im Domblatt von 2008 veröffentlicht worden waren, „wurde es allerdings erstmal wieder stiller um das Thema“. Aus Anlass des 50. Jahrestages der Konzils-Erklärung „Nostra aetate“ war es 2015 die Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, die dem Domkapitel vorschlug, dieses Jubiläum zu nutzen, den im Domblatt von 2008 veröffentlichten Erkenntnissen auch praktische Taten folgen zu lassen. Dies führte zur Gründung der von der Kölnischen Gesellschaft und dem Domkapitel getragenen der AG „ Der Dom und die Juden“ im Jahr 2016.

  

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