Interview: Die katholische Ehe-, Familien- und Lebensberatung im Stadtdekanat Köln hilft Menschen, gut durch die Corona-Zeit zu kommen
21. April 2020; ksd
Köln.
Seit vier Wochen gilt die Kontaktsperre in Deutschland, das Corona-Virus und seine
weltweiten Auswirkungen beschäftigen die Menschen aber schon deutlich länger. Viele Menschen sind
zudem schon seit mehr als drei Wochen überwiegend zu Hause, um von dort zu arbeiten. Andere sind in
Kurzarbeit oder haben von heute auf morgen ihre Arbeit verloren. Für manche Paare und Familien ist
das Miteinander, aber auch die Situation allgemein eine Herausforderung oder Belastung. Theresia
Stamm, Leiterin der katholischen Ehe-, Familien- und Lebensberatung in Porz, ist mit ihrem Team –
wie alle Beratungsstellen im Stadtdekanat Köln – telefonisch und online weiterhin für Menschen da,
die Rat, Unterstützung und Hilfe brauchen. Sie gibt Tipps, wie Paare und Familien gut durch die
Corona-Zeit kommen, erklärt aber auch, was im Fall von häuslicher Gewalt zu tun ist. Hier rechnet
sie mit einer weiteren Zunahme der Fälle, ebenso wie mit einem wachsenden Beratungsbedarf nach der
Corona-Krise.
Was bedeutet die gegenwärtige Ausnahmesituation durch Corona für Paare und Familien?
Theresia Stamm: Für die meisten Menschen ist das eine neue Situation. Alle sind zu
Hause, die Kinder sind nicht in der Schule, die Eltern im Homeoffice. Es gibt keine Entlastung wie
sonst, über die Kita, die Schule oder die Großeltern. Das Zusammenleben in dieser Zeit braucht im
Letzten einen disziplinierteren, vorsichtigeren Umgang, als wir ihn gewohnt waren. Man kann sich
nicht aus dem Weg gehen. Bei uns melden sich aber gerade jetzt auch viele alleinlebende Menschen.
Die Menschen leiden sehr unter der Einsamkeit. Das ist schon sehr belastend für sie, gerade wenn
sie zu einer Risikogruppe gehören oder wenn sie lange niemanden mehr gesehen haben. Die
Ungewissheit, wie es weitergeht und wann wieder Normalität herrscht, ist eine zusätzliche enorme
Belastung.
Was können Paare oder Familien tun, um mit der Situation zurecht zu kommen, gerade wenn sie
nur wenig Raum zur Verfügung haben?
Stamm: Familien und Paare brauchen neue Absprachen für neue Strukturen und neue
Tagesabläufe mit Arbeits- und Lernzeiten. Eine äußere Ordnung – der strukturierte Tag – führt zur
inneren Ordnung, zum Gefühl, die Kontrolle ein wenig über die Ausnahmesituation zurückzugewinnen.
Eine Möglichkeit sind Auszeiten voneinander – alleine einen Sparziergang machen, mal alleine ein
Zimmer in der Wohnung nutzen, sich Rückzugsräume schaffen. Aber auch aktiv gestaltete Familienzeit
und – wenn gewünscht – aktiv gestaltete Zeit für die Partnerschaft sind unerlässlich. Es ist
wichtig, dass alle ihre eigenen Bedürfnisse äußern können: Wer benötigt was in dieser Situation?
Was bedeutet das konkret?
Stamm: Es ist wichtig, gerade in diesen Zeiten die Verantwortung für das eigene
Wohlergehen zu übernehmen. Wenn jeder Erwachsene sich um sein eigenes Wohlbefinden sorgt, spiegelt
sich dieses Ausgeglichensein in der Partnerschaft wider: Sind die Eltern entspannt, reagieren die
Kinder entsprechend. Umgekehrt natürlich auch. Jeder Erwachsene kann nur für sein eigenes
Wohlergehen sorgen. Das heißt nicht, egoistisch zu sein. Es bedeutet, keine erhöhten Erwartungen an
den anderen zu haben, das führt sonst nur zu Enttäuschungen. Wenn es dann zu Vorwürfen an den
Partner kommt, weil der die – oft unausgesprochenen Erwartungen – nicht erfüllt hat, gerät das Paar
in eine Sackgasse. Man sollte nicht hoffen, der Partner oder die Partnerin verändert sich in dieser
Krise, ist netter als sonst, nimmt mir belastende Dinge ab oder anderes. Die äußere Krise löst
keine familiäre oder partnerschaftliche Krise, sondern spitzt sie mitunter zu. Alte, schon lange
bestehende Konflikte in Familie und Partnerschaft lassen sich jetzt mit dem Mehr an freier Zeit
auch nicht zwingend lösen. Hinzu kommen häufig Sorgen um den Arbeitsplatz, finanzielle Engpässe und
andere Belastungen. Die können sehr viel Raum einnehmen. Man sollte versuchen, Ruhe zu bewahren, so
gut es geht, und abzuwarten, welche konkreten Hilfen greifen – und zwar dann, wenn die Situation
sich konkret zeigt. Dann können Anträge auf auch finanzielle Hilfen gestellt werden, da gibt es
viele Möglichkeiten. Allgemein sollte man versuchen, so gut es geht, im Hier und Jetzt zu leben.
Wie kann man positiv mit der Situation umgehen und Belastungen etwas Positives
entgegensetzen?
Stamm: Es kann helfen, wenn Paare und Familien sich gemeinsam erinnern: Wie haben
wir krisenhafte Situationen im Leben gemeinsam gemeistert? Was hat uns geholfen? Ich nenne es, die
persönliche Schatzkiste öffnen. Sich an Schönes erinnern, aber auch an eigene
Bewältigungsstrategien. Es ist auch wichtig, einzelnen Familienangehörigen konkrete Rückmeldungen
zu positiven Verhaltensmustern in der aktuellen Situation zu geben, den anderen zu loben und sich
gegenseitig im Blick zu haben. Allgemein sollte jeder gut auf die basalen Dinge des Lebens achten:
sich gut ernähren und auf eine gute Versorgung achten. Für ausreichend Schlaf und viel Bewegung
sorgen – das hilft auch beim Stressabbau. Der Aufenthalt an der frischen Luft, in der Natur, hilft,
einen „Lagerkoller“ zu vermeiden. Es ist wichtig, sich bewusst Zeit für schöne Dinge zu nehmen,
etwa ein Hobby, vielleicht auch ein fast vergessenes. Und es kann guttun, sich mit den eigenen
Fähigkeiten und Stärken zu beschäftigen. Das stärkt und kann dabei helfen, besser mit der Situation
umzugehen.
In manchen Ländern wurde durch Corona-Quarantäne und Ausgangssperre ein Anstieg häuslicher
Gewalt verzeichnet. Auch in Deutschland wurden bereits mehr Fälle registriert. Erwarten Sie auch
für Köln eine Zunahme häuslicher Gewalt?
Stamm: Ja, damit rechne ich. Aufgrund der räumlichen Nähe und Enge kann es zu
häuslicher Gewalt kommen, auch zu einer Zunahme von Gewalt in Familien beziehungsweise zwischen
Paaren. Die jetzige Situation ist sehr belastend für alle Menschen. Jugendämter, Beratungsstellen,
die Telefonseelsorge und andere Institutionen sind weiterhin alle telefonisch erreichbar und
bleiben Ansprechpartner auch und gerade in solchen Situationen. In gewaltbelasteten Familien ist es
in einer eskalierenden Situation akut geboten, die Polizei zu rufen. Diese hat die Möglichkeit, die
gewalttätig Person für zehn Tage der Wohnung zu verweisen. In der Zwischenzeit können alle
Beteiligten – getrennt voneinander – Beratung in Anspruch nehmen. Bei Gewalt in Familien ist das
Jugendamt zu informieren. Die Mitarbeiter machen auch in diesen Tagen Hausbesuche und überprüfen
die Situation. Wenn nötig, können sie Kinder in Obhut nehmen. Auch der Kontakt zum Frauenhaus kann
eine Lösung für gewaltbetroffene Frauen sein. Das alles gilt natürlich nicht nur in der
Corona-Zeit.
Vielen Menschen macht das Virus selbst Angst, dazu die Sorgen um die eigene Gesundheit oder
die von Angehörigen sowie die Ungewissheit über die Dauer des Ausnahmezustandes. Wie kann man damit
umgehen?
Stamm: Es ist wichtig, darüber zu sprechen. Über das Virus und die
Ansteckungsgefahr, über die Auswirkungen, vor allem auch über die eigenen Ängste und Belastungen.
Das bedeutet: Ich realisiere das Unfassbare. Die Wahrnehmung, dass alle verunsichert und ängstlich
sind, kann helfen. Man macht sich klar: Ich reagiere normal – und dadurch fühlt man sich nicht
alleine. Um aus negativen Gedankenkreisläufen heraus zu kommen, sind Gespräche oftmals der kürzeste
Weg. Jeder sollte auch bewusst entscheiden, wie viele Informationen über die Medien ihm oder ihr
guttun. Es ist wichtig, sich mediale Auszeiten zu gönnen und sich auch mit anderen Themen sowie
anderen Dingen zu beschäftigen. Mit anderen telefonisch oder über das Internet in Verbindung zu
bleiben, mit der Familie, Freunden, der Nachbarschaft, kann dabei helfen, mit der Situation und
eigenen Ängsten umzugehen. Gegebenenfalls helfen auch die professionellen Institutionen. Hier
findet man Menschen, die zuhören, die die Situation mit etwas Abstand betrachten. Wir stellen
Fragen, um Ängste und Unsicherheiten zu verstehen. Und wir stellen Fragen, die den Blick auf die
Situation je nachdem weiten oder einengen. Dadurch entstehen neue Perspektiven und es entwickelt
sich in einer scheinbar aussichtlosen Situation Hoffnung. Die großen und kleinen
Solidaritätsbekundungen im Alltag, wie der Einkauf für die Nachbarin, das kurze Gespräch im Park,
mehr Zeit innerhalb der Familie haben, mitunter das Erleben des Frühlings – all das durchbricht
unsere Ängste und lässt uns Hoffnung, Zuversicht und Freude schöpfen.
Die ersten Lockerungen sind in Kraft getreten. Entspannt sich damit automatisch die
Situation in den Familien und alle kehren zur Normalität zurück?
Stamm: Die Ausnahmesituation und ihre Auswirkungen werden Paare und Familien noch
länger beschäftigen. Die Belastungen sind je nach Familiensituation hoch: Neben dem deutlich
veränderten Familienleben und Rhythmus, den Ängsten wegen der Corona-Ansteckung, Sorgen um den
Arbeitsplatz und um Angehörige sowie neben finanziellen Sorgen und Angst vor Überschuldung befinden
sich viele in einer Schockstarre. Das führt auch zu einer gewissen Handlungsunfähigkeit. Es wird
durchgehalten nach dem Motto „Irgendwie geht es weiter“. Die Spielräume, um sich bereits jetzt
Hilfe zu holen, sind nicht sehr groß. Ein geschütztes Telefonat ist zurzeit schwieriger zu
ermöglichen. Der Partner oder die Kinder hören mit. Und auch Alleinerziehende haben nicht die Ruhe
und den Raum, um allein zu telefonieren. Daher rechne ich mit einem Anstieg der Beratungsanfragen
nach der Corona-Krise. Erst wenn sich auch die gesellschaftliche Starre löst, können sich
betroffene Familien und Paare um Hilfe kümmern.
Kann diese Zeit denn auch eine Chance für Paare und Familien sein?
Stamm: Mehr Zeit miteinander zu haben und bisweilen weniger Belastungen durch weniger Arbeitsstress und andere Faktoren, eröffnet die Möglichkeit, miteinander intensivere Gespräche zu führen. Es ist Gelegenheit zu überprüfen, was wirklich im Leben wichtig ist. Was sind unsere Werte? Was ist unsere Ausrichtung? Was trägt uns im Leben? Diese Themen können kommen, allerdings sind viele Menschen zurzeit noch mehr im Außen und noch nicht im Inneren mit grundsätzlichen Lebensfragen beschäftigt.
Interview: Hildegard Mathies
Ein
Experten-Interview des
ARD-Magazins „livenachneun“ mit dem Leiter der Kölner Ehe-, Familien- und
Lebensberatung, dem Diplom-Psychologen
Günther Bergmann, können Sie
hier abrufen.
Darin geht es unter anderem um den Umgang mit Ängsten in der Corona-Krise. Darüber hinaus
gibt Bergmann Familien Tipps, wie sie miteinander gut durch die Corona-Zeit kommen.
Im
Nachfolge-Interview mit „livenachneun“
gibt Günther Bergmann unter anderem Tipps, wie man mit anhaltenden und zunehmenden Belastungen
umgeht, was man bei Stress tun kann, wie Paare und Familien miteinander umgehen können.
Informationen und Kontakt
Beratungen finden derzeit telefonisch oder online statt, über Mail, Chat oder Video-Chat. Die Anmeldung ist telefonisch oder online möglich:
Die
Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und Lebensfragen in
Porz ist telefonisch erreichbar von Montag bis Freitag, 9 bis 12 Uhr sowie 13 bis
16 Uhr unter
02203 52636 sowie per E-Mail unter: info@efl-porz.de Die Einrichtung vergibt
Telefontermine auch außerhalb dieser Zeit.
Die Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und Lebensfragen in Köln am Steinweg ist derzeit von Montag bis Freitag, 8.30 Uhr bis 14 Uhr, erreichbar. In dieser Zeit kann man sich telefonisch anmelden unter 0221 2051515. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, sich online anzumelden. In akuten Krisensituationen ist montags bis freitags von 10 Uhr bis 14 Uhr ein Bereitschaftsdienst für ein erstes Beratungsgespräch erreichbar.
Mehr Informationen zu den einzelnen Beratungsstellen gibt es unter www.koeln.efl-beratung.de
Als weiteres Angebot steht die Katholische Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche – Erziehungs- und Familienberatung – bei Fragen, Sorgen und Konflikten Familien zur Seite. Erreichbar ist sie unter Telefon 0221 60608540 und per E-Mail: sekretariat@beratung-in-koeln.de für erste Kontakt- und Beratungsgespräche von Montag bis Freitag, 10 bis 14 Uhr, sowie, unabhängig von diesen Zeiten, für weitere Beratungsgespräche beziehungsweise in laufenden Fällen nach telefonischer Vereinbarung.
Mehr Informationen gibt es unter www.eltern-familien-beratung-koeln.de
Die Katholische Jugendagentur Köln hat einen „Ratgeber für die Zeit zu Hause“ für Familien erstellt.