Kirchenvertreter fordern entschiedenes Eintreten für Menschenrechte und schnelle Hilfe für Menschen in Afghanistan

19. August 2021; ksd

Berlin/Bonn (ekd/dbk). In einer gemeinsamen Erklärung äußern sich Vertreter der evangelischen und der katholischen Kirche zur aktuellen Lage in Afghanistan und fordern entschiedenes Handeln der Bundesregierung. Unterzeichner sind: Direktor Renke Brahms, Friedensbeauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Dr. Bernhard Felmberg, Evangelischer Bischof für die Seelsorge in der Bundeswehr, Bischof Dr. Peter Kohlgraf, Präsident der Deutschen Sektion pax christi, Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck, Katholischer Militärbischof für die Deutsche Bundeswehr, und Bischof Dr. Heiner Wilmer, Vorsitzender der Deutschen Kommission Justitia et Pax, zur akuten Notlage der afghanischen Bevölkerung und rufen die Bundesregierung zur schnellen und unbürokratischen Hilfe auf. Die Erklärung im Wortlaut:

 

„Mit großer Bestürzung verfolgen wir die Situation in Afghanistan. In den letzten Tagen mussten wir eine dramatische und schnelle Entwicklung miterleben, die entsetzliches Leid über die Bevölkerung in Afghanistan bringt und noch bringen wird.

Die verzweifelte Situation, in der sich gegenwärtig viele Afghaninnen und Afghanen befinden, ist zutiefst erschütternd. Die Bilder und Berichte vom Flughafen in Kabul zeigen überdeutlich deren existentielle Ängste. Es gibt Berichte aus verschiedenen Landesteilen, die erwarten lassen, dass unter dem Taliban-Regime immenses Leid über große Teile der Bevölkerung kommen wird. Wir denken dabei nicht nur an die Ortskräfte, die über Jahre hinweg im Dienst der ausländischen Streitkräfte standen, sondern auch an die afghanischen Frauen und Kinder sowie die Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten. Sie müssen mit Verschleppung, Ausbeutung, Gewalt und dem Tod rechnen, wenn sie sich nicht den Bestimmungen der Taliban unterwerfen.

Angesichts dieser akuten Not ist es der falsche Zeitpunkt, mit Schuldzuweisungen auf diese Situation zu reagieren. Vielmehr kommt es nun auf konkrete Schritte an, um diese Not zu lindern. Mit dieser gemeinsamen Erklärung drücken wir unsere Solidarität mit den Menschen in Afghanistan aus und fordern vor allem von den am Einsatz in Afghanistan beteiligten Staaten ein entschiedenes Eintreten für die universelle Geltung der Menschenrechte. Wir bitten daher eindringlich alle Regierungen, auf diese Not mit Menschlichkeit zu reagieren, schnelle Hilfe und Ausreisen zu ermöglichen sowie Asyl zu gewähren. Die deutsche Bundesregierung möge darüber hinaus auch jenen Menschen unkompliziert ein Bleiberecht in Deutschland gewähren, die schon vor 2013 mit der Bundeswehr, zum Beispiel als Übersetzer, kooperiert haben.

Nach Bewältigung dieser akuten Notlage ist es geboten, den Einsatz in Afghanistan unvoreingenommen und nach klaren Kriterien zu evaluieren, so dass auch Konsequenzen für eine zukünftige Außen- und Sicherheitspolitik der westlichen Staaten gezogen werden können. Das sind wir den Menschen in Afghanistan schuldig, aber auch den vielen internationalen Einsatzkräften, die sich in den vergangenen Jahrzehnten in Afghanistan engagiert und persönliche Opfer gebracht haben und die jetzige Situation mit Erschütterung und Ohnmacht erleben müssen.

Schließlich hoffen wir von ganzem Herzen, dass alle Beteiligten ihre Waffen schweigen lassen und gemeinsam an einer friedlichen Lösung arbeiten. Möge die Not der Menschen ihnen ein offenes Herz und einen neuen Geist geben. Darum bitten wir und dafür beten wir.“

 

„Moralischer Bankrott für den Westen“

 

Auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Georg Bätzing, hat sich zur Situation der Menschen in Afghanistan geäußert und dabei auch Kritik am Rückzug des Westens geübt, zumal die katastrophalen Folgen absehbar gewesen seien. Im Wortlaut:

 

„Seit einigen Tagen gehen die Bilder triumphierender Taliban-Krieger und unzähliger schockierter Afghanen um die Welt. Vielen steht pure Angst ins Gesicht geschrieben. Die Szenen am Flughafen Kabul, belagert von Menschen, deren einzige Hoffnung darin besteht, ihre Heimat noch schnell genug verlassen zu können, bedrängen. Auch mich empören das um sich greifende Leid und die Hilflosigkeit derer, denen gerade die Zukunft entrissen wird.

Die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan stellt eine desaströse Niederlage der USA und der bis vor Kurzem an ihrer Seite engagierten Länder dar. Das gilt auch für Deutschland. Die jetzt eingetretene Lage zehrt das politische Vertrauenskapital der westlichen Länder auf und wird von vielen in aller Welt als moralischer Bankrott verstanden. Als vor 20 Jahren die Entscheidung für die militärische Invasion Afghanistans getroffen wurde, gab es viele kritische Stimmen zu diesem Einsatz; manches starke Argument wurde vorgebracht. Aber man konnte das militärische und das folgende militär-zivile Engagement auch mit guten politischen und humanitären Gründen verteidigen. Auch in den Kirchen gab es eine durchmischte Diskussionslage. Wie immer man dabei Partei ergriff: Nur schwer ist das abrupte Ende eines solchen Einsatzes zu begründen, wenn die katastrophalen Folgen doch absehbar waren. Man gibt kein Land an eine erwiesenermaßen brutale archaisch-radikalislamistische Bewegung preis, wenn man die Zivilbevölkerung zuvor jahrelang angespornt hat, einem entgegengesetzten zivilisatorischen Kurs zu folgen! So werden Leib und Leben Tausender und Abertausender in Gefahr gebracht und die Flamme der Hoffnung, die man selbst genährt hat, ausgelöscht. Eine Renaissance des islamistischen Terrorismus ist nicht unwahrscheinlich.

In der jetzigen Lage muss das Naheliegende getan werden, um die schlimmsten Folgen zu verhindern. Dazu gehört selbstverständlich die Evakuierung der sogenannten Ortskräfte, die für das Militär der auswärtigen Mächte – auch für die Bundeswehr – gearbeitet haben, und des Personals der internationalen Hilfsorganisationen. Großzügige Aufnahmeangebote sollten aber auch jenen gemacht werden, die in besonderer Weise gefährdet sind, Opfer des neuen Taliban-Regimes zu werden, weil sie sich in den zurückliegenden Jahren für eine Neuorientierung der afghanischen Gesellschaft exponiert haben. Und darüber hinaus: Viele verantwortliche Politiker äußern die Erwartung, dass der Umsturz in Afghanistan mit erheblichen Fluchtbewegungen einhergehen wird. Deshalb ist es unerlässlich, die Staaten in der Region, so gut es nur geht, in die Lage zu versetzen, Flüchtlinge aufzunehmen und zu versorgen. Manche, vielleicht viele Menschen werden sich auch auf den Weg nach Europa machen. Die Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union muss dringend vertieft und verbessert werden, damit diejenigen, die ein Recht dazu haben, hier Aufnahme finden können.

Christen, ebenso wie Muslime und Juden, glauben an die Macht des Gebets. Ich lade deshalb alle ein, sich im Gebet mit den Leiden der Menschen in Afghanistan zu verbinden und Gott um seine gnädige Hilfe anzurufen.“

 

MISEREOR ruft zu internationaler Hilfe für Afghanistan auf

 

Das katholische Hilfswerk MISEREOR und die katholische Zentralstelle für Entwicklungshilfe rufen zu internationaler Hilfe für die Menschen in Afghanistan auf. Die humanitäre Lage verschlechtere sich täglich, aktuell seien vier Millionen Menschen auf der Flucht. Mehr in diesem Beitrag auf katholisch.de sowie auf misereor.de

 

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