Kölner Straßennetz fordert von der Politik mehr Einsatz für Wohnraum und Wohnungslose
7. Dezember 2019; Hildegard Mathies
Köln. „Wir sitzen alle an einem Tisch…, alle gleich gut?“ – Es ist eine
rhetorische Frage, die das „Kölner Straßennetz“ stellt, die Antwort ist eindeutig: „Nein“. Das
Bündnis gegen Wohnungslosigkeit, zu dem auch die Katholische Wohnungslosenseelsorge
GUBBIO gehört, forderte zum
Nikolaustag einen klaren Wandel von der Stadtpolitik – und wollte gleichzeitig den Blick der Bürger
für die geschätzt rund 8000 wohnungslosen Menschen in der Domstadt schärfen.
Dazu diente auch eine gemeinsame Nikolausfeier „für Berber und Bürger“ unter der Deutzer
Brücke, mit heißen Getränken, einer ebenso heißen Suppe und vor allem mit den herzlichen Worten von
Weihbischof Ansgar Puff in der Rolle des heiligen Nikolaus. Der verteilte an alle Gäste einen fair
produzierten, dem Heiligen nachempfundenen Schokoladen-Nikolaus, der vor allem für die
Wohnungslosen und Bedürftigen einen Hauch adventlicher Heimeligkeit verbreiten sollte.
„Den heiligen Nikolaus zeichnete aus, dass er nicht weggeguckt hat“, sagte Puff. Er ist
derzeit übergangsweise im GUBBIO tätig, seit nach dem Weggang des Franziskaners Bruder Markus
Fuhrmann im September dort die zweite halbe Stelle neben der Olper Franziskanerschwester Christina
Klein unbesetzt ist. Gott sei Dank, so der Weihbischof, gebe es auch in der Stadt Köln viele
Menschen, die nicht wegsähen, sondern die Frauen und Männer, Jugendlichen und Kinder, die auf der
Straße leben beziehungsweise kein eigenes Zuhause haben, wahrnehmen. Und die diese Menschen
unterstützen und sich dafür engagieren, dass ihnen geholfen wird.
Der Traum vom eigenen Zuhause
Bereits am Vormittag hatten Vertreter des Kölner Straßennetzes auf einer gemeinsamen
Pressekonferenz Politik und Stadtgesellschaft in die Pflicht genommen. Es diskutierten Christina
Bacher, Chefredakteurin des Straßenmagazins „Draussenseiter“, Willi Does von der
Emmaus-Gemeinschaft Köln, Jutta Eggeling vom Vringstreff, Karl-Heinz Iffland vom Kölner
Arbeitslosenzentrum KALZ und Schwester Christina Klein vom GUBBIO.
Eine zwischen 2017 und 2018 erstellte Studie habe belegt, dass alle Wohnungslosen von einem
eigenen Zuhause träumen, traten die Vertreter des Kölner Straßennetzes dem Mythos der
freiheitsliebenden Berber entgegen, die freiwillig und gern auf der Straße leben. Nur, weil es oft
keine für ihn stimmige Alternative gebe für einen Menschen, der seine Wohnung, seine Familie, seine
Perspektive und sein geregeltes Leben verloren habe, landen viele Menschen auf der Straße –
manchmal jahrzehntelang, manchmal bis zum Tod.
Der Aufenthalt oder die Übernachtung in einer Gemeinschaftsunterkunft oder Notschlafstelle
sei für viele Wohnungslose nicht (er)tragbar, erklärten die Experten. „Da sollen plötzlich auf
engem Raum beispielsweise ein psychisch Kranker, ein Alkoholiker und ein trockener Alkoholiker, ein
Drogenkranker und andere Menschen zusammenleben“, sagte Eggeling. „Stellen Sie sich das einmal in
Ihrer Familie vor! Das kann nicht funktionieren.“ Umso weniger, als das Leben auf der Straße immer
eine akute Notsituation sei, die den Menschen unter immensen psychischen Druck setze und eine
extreme physische Herausforderung sei. Hinzu kämen – bisweilen berechtigte – Ängste vor Gewalt und
Diebstahl der wenigen verbliebenen Habseligkeiten. „Da nehmen viele lieber bewusst in Kauf, dass
die Nacht auf der Straße ihre letzte sein könnte, gerade im Winter“, betonte Iffland.
„Housing first“ – als Erstes ein Zuhause schaffen
In Köln fehle es nicht nur allgemein an bezahlbarem Wohnraum, sondern vor allem auch an
Wohnraum, bei dem ehemalige oder aktuell noch wohnungslose Menschen überhaupt eine Chance haben. „
Sie müssen mit jungen Familien, Studenten und vielen anderen konkurrieren, meist mit mehreren
Dutzend Bewerbern auf eine Wohnung. Wenn da einer mit seinen paar Tüten, in denen seine gesamte
Habe ist, zur Wohnungsbesichtigung kommt, weil er sie nirgendwo lassen kann, hat er keine Chance“,
so Bacher.
Die Stadt Köln habe bereits vor einigen Jahren klar definiert, dass ein Zuhause ein fest
ummauerter Raum sei – und nicht etwa Container, Bauwagen oder andere Alternativen beziehungsweise
Übergangslösungen, wie sie bisweilen vorgeschlagen oder auch in manchen Städten und Ländern erprobt
würden. In der Praxis sei der Grundsatz aber noch lange nicht verwirklicht, kritisierte das
Bündnis.
Jutta Eggeling verwies auf das in Finnland erfolgreich angewandte Prinzip „Housing first“.
Dort bekommen Wohnungslose als Erstes eine neue Wohnung beziehungsweise ein Appartement – ohne
Bedingungen. Erst dann läuft der Apparat von Hilfe, Beratung und Begleitung an. Vier von fünf
Wohnungslosen schaffen so den Weg zurück in ein geregeltes Leben. Der Vringstreff plane nun, selbst
mit Mitteln aus dem „Housing first“-Fonds Wohnraum zu erwerben und so das Prinzip in Köln
anzuwenden.
Köln braucht ein Hospiz für wohnungslose Menschen
Von der Politik fordert das Bündnis vor allem mehr Einsatz und konkrete Maßnahmen für die
Schaffung von mehr bezahlbarem Wohnraum. Die Anzahl der Sozialwohnungen hat sich in Deutschland in
den vergangenen 13 Jahren halbiert. „Wir brauchen tatsächlich einen Klimawandel“, so Bacher. „Wir
brauchen ein neues gesellschaftliches Klima, in dem Menschen in Not schnell, unbürokratisch und
auch unkonventionell geholfen wird.“ Und Does ergänzte: „Eine Gesellschaft, die sich nicht an ihrem
schwächsten Glied orientiert, hat keine Zukunft.“
Schwester Christina Klein treibt noch ein weiteres Anliegen um: „Wir brauchen ein Hospiz
beziehungsweise Hospizplätze für schwerstkranke, sterbende Wohnungslose“, sagt die Franziskanerin.
Auf ihren Rundgängen durch die Stadt als aufsuchende Seelsorge begegnet sie immer wieder Menschen,
deren Leben auf der Straße zu Ende zu gehen droht. „Doch auch sie haben einen Tod in Würde verdient“
, betont die Ordensfrau. Auch das ist ein Thema, über das in Köln auf breiter Basis gesprochen
werden und für das dringend eine Lösung gefunden werden müsse.
Mehr Informationen zum Köner Straßennetz gibt es hier.