Letzter Gottesdienst in St. Hildegard am 20. September: „Es ist fast ein Zeichen von Kapitulation“ / Bau von Sozialwohnungen geplant

18. September 2020; ksd

 

Köln. Bereits vor 14 Jahren haben die Gemeindegremien entschieden, dass die stark sanierungsbedürftige Kirche St. Hildegard in Nippes aufgegeben werden muss. Doch die Vernunft ist das eine, die Trauer über den konkreten Verlust das andere. Am Sonntag, 20. September, findet der letzte Gottesdienst statt.

„Diese Kirche war Heimat für mich“, stellt Diakon Wilfried Koch mit Tränen in den Augen fest. „ Man eignet sich einen Sakralraum an, wenn man in ihm gestalten darf.“ Und obwohl der 72-Jährige, der 38 Jahre lang der „Seelsorger vor Ort“ war und bis letztes Jahr gleich nebenan gewohnt hat, schon seit beinahe anderthalb Jahrzehnten weiß, dass die Tage seiner ehemaligen Wirkungsstätte St. Hildegard in der Au gezählt sind, übermannt ihn immer noch große Trauer, sobald er davon spricht. „ Unglaubliche spirituelle Erfahrungen“ verbinde er mit dieser Kirche, darunter die eigene Weihe zum Diakon. „Das vergisst man nicht.“ Ganz zu schweigen von den vielen Taufen, Hochzeiten oder Abschieden, die er in diesem Gotteshaus mit Familien der Gemeinde gefeiert habe. „Ich bin mit dieser Kirche verwachsen, habe eine Geschichte mit ihr und kenne alle ihre Ecken und Kanten“, sagt er.

 

Eine schwere Entscheidung

 

Selbst Menschen, die sonst nicht religiös wären oder kaum einen Bezug zu Kirche hätten, würden sich jetzt, da die Würfel längst gefallen seien, mit einem Mal verprellt fühlen und sich für den Erhalt dieses Stücks Stadtarchitektur stark machen. Nicht wenige klagten: „Ihr wollt uns unsere Kirche wegnehmen.“ Dabei sei ja weiß Gott keinem der Verantwortlichen in Gemeindeleitung, Kirchenvorstand und Pfarrgemeinderat die Entscheidung leicht gefallen, sich von St. Hildegard zu trennen und einer „vernünftigen Lösung“ zuzustimmen, erklärt der Seelsorger. Ganz im Gegenteil. Die Menschen im Sprengel hingen an ihrer Kirche. „Denen geht es wie mir“, meint Koch. „Rational habe ich alles verstanden. Dass eine Wiederinstandsetzung einen Betrag in Millionenhöhe erforderlich macht und das in keinem Verhältnis zum Ertrag steht – erst recht nicht in Zeiten, in denen die Menschen der Kirche zunehmend den Rücken zukehren und St. Hildegard nicht mehr wirklich voll genutzt wird.“ Nur die Stimmigkeit der zwingenden Argumente erleichtere ein wenig den Abschied.

Und trotzdem schmerze ihn allein schon der Gedanke daran, dass nun die Reliquien aus dem Altar genommen werden sollen und die Kirche für immer zugesperrt wird. Ihr bevorstehendes Schicksal – im Gespräch ist ein vollständiger Abriss zugunsten von sozialem Wohnraum – berühre ihn schon sehr. „Es ist fast ein Zeichen von Kapitulation“, so der Kirchenmann, zumal sich in diesem Vorgang das ganze Ausmaß des gegenwärtigen Trends zeige. „Wir stecken mitten in einer Situation der Ausdünnung unseres Glaubens. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass eines Tages Gottes Sehnsüchte wieder an die Kirche klopfen.“

 

Sakrales Kleinod

 

An diesem Sonntag soll es soweit sein und der erste Schritt Richtung Abriss vollzogen werden. Im Rahmen seiner Visitation übernimmt Weihbischof Rolf Steinhäuser die zunächst letzte offizielle Amtshandlung an diesem Gebäude und wird das erst 60 Jahre alte Kirchlein außer Dienst stellen, wie es in der kirchlichen Amtssprache heißt. Über eine Profanierung wird dann der Priesterrat bei seiner Tagung im Mai befinden. Solange wird St. Hildegard als „stilles Baudenkmal“ an der Florastraße stehen, erläutert Pfarrer Stefan Klinkenberg.

Der Geistliche hat ebenfalls eine gewachsene emotionale Beziehung zu der „Kirche am Weg“ – so ihr Beiname – und kann die nun noch einmal sehr akut gewordene Trauerarbeit angesichts der endgültigen Aufgabe dieses sakralen Kleinods gut nachempfinden. Aber die kontinuierlich rückläufigen Besucherzahlen in den bislang noch zweimal pro Woche stattfindenden Gottesdiensten in Kombination mit den mittlerweile unübersehbaren Bauschäden – ein maroder Turm, Risse in den Wänden, ein bereits mehrfach notdürftig geflicktes Dach, morsche Wasserleitungen, eine defekte Heizungsanlage und starke Verschmutzungen innen und außen – machten eine Investition im großen Stil nicht verantwortbar, betont Klinkenberg. Trotzdem habe er gerne in dieser Kirche, die Anfang der 1960er-Jahre von dem Kölner Architekten Stefan Leuer in Form eines Rombus konzipiert wurde und mit den vielen kleinen Fenstern in der Fassade und den ungewöhnlich gebogenen Wänden etwas von einer mittelalterlichen Burg oder eines bergenden Schiffrumpfs hat, gerne Messe gefeiert. „Je nach Lichteinfall hat diese Kirche immer wieder eine andere Atmosphäre und bietet aufgrund ihrer Architektur eine Menge theologischer Impulse.“

 

Mitnutzung durch orthodoxe Gemeinde

 

Aber Klinkenberg kennt auch die Geschichte, die zu diesem Gotteshaus gehört. „Das war damals die Zeit, in der die Anzahl der Katholiken beständig wuchs, zusätzliche Pfarrstellen geschaffen wurden und es noch genügend Priester für die vielen kleinen neu entstehenden Gemeinden gab“, erzählt der 60-Jährige, der selbst seit acht Jahren leitender Pfarrer am Ort ist. Zuständig für die 8000 Katholiken in Riehl und Nippes mit den weitaus größeren Kirchen St. Engelbert und St. Bonifatius, hat er St. Hildegard immer als eine Art Bindeglied zwischen diesen beiden Sakralbauten betrachtet. „ Als kleine Schwester in ruhiger Lage mitten im Grünen ist sie schon etwas Besonderes. Umso erfreulicher, dass zumindest in den letzten sechs Jahren die rum-orthodoxe Gemeinde das Gebäude mit regelmäßigen Sonntagsgottesdiensten belebt hat.“

Auch Klinkenberg selbst blickt auf viele positive Erinnerungen mit der Gemeinde zurück, die in ihren Anfängen einmal selbstständig war und bei sich zunächst viele Menschen versammeln konnte, zumal St. Hildegard für nicht wenige auch zur geistlichen Wahlheimat wurde. „Wir haben wirklich alles versucht“, beteuert der Seelsorger, „aber, so hart es klingt, der Nutzungsbedarf für St. Hildegard tendiert heute gegen Null. Es besteht keine Verhältnismäßigkeit mehr zwischen dem, was die Gemeinde an Gewinn aus einer erneuten Instandsetzung auf der einen und den aufwendigen Kosten auf der anderen Seite ziehen würde“, beschreibt er den jahrzehntelangen, emotional aufreibenden Abwägungsprozess.

 

Vision einer Hildegard-Siedlung

 

Bereits in den letzten Jahren ist daher viel Mühe in die Erstellung eines Konzeptes geflossen, das in Zusammenarbeit mit der Aachener Wohnungsbaugesellschaft auf der 5000 Quadratmeter großen Grundstücksfläche in bester Lage die Errichtung von Sozialwohnungen vorsieht. Auch der Verbleib aller Kunstgegenstände, die bereits auf 90 Seiten aufgelistet sind, muss zufriedenstellend geklärt werden. Das ist die Auflage der zuständigen Kommission im Generalvikariat. Die Orgel zum Beispiel soll an die evangelische Stefansgemeinde in Riehl gehen und auch Altar, Tabernakel, Taufstein sowie einige Fenster könnten sinnvollerweise einen neuen Besitzer finden. Das letzte Wort hat hier aber das Erzbistum, das die Gemeinde um überzeugende Vorschläge bittet.

Pfarrer Klinkenberg kann sich gut vorstellen, dass auch die zukünftig geplante Bebauung im Grundriss wieder die Form des Rombus aufgreift oder der ganze Komplex gar den Namen der ehemaligen Pfarrkirche im Namen trägt, also vielleicht eine „Hildegard-Siedlung“ entsteht. Am liebsten wäre ihm sogar eine winzige gleichnamige in den Neubau integrierte Kapelle. „In jedem Fall soll man sich auch in vielen Jahren noch daran erinnern können“, argumentiert er, „dass hier einmal eine Kirche stand, in der Menschen ihren Glauben gefeiert haben und ein Zuhause hatten.“

 

Autorin: Beatrice Tomasetti

 

Der Besuch des letzten Gottesdienstes in St. Hildegard ist nur nach Anmeldung möglich. Weitere Informationen auf der Internetseite von St. Engelbert und St. Bonifatius.

 

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