Msgr. Kleine - Gedanken zu Weihnachten an Silvester

31. Dezember 2025; ksd

Köln. Der Kölner Stadtdechant, Msgr. Robert Kleine, hat an diesem letzten Tag des Jahres 2025 für den Kölner Stadtanzeiger einige Gedanken zu Weihnachten formuliert - er schreibt:

An Weihnachten haben Christinnen und Christen weltweit gefeiert, dass Gott auf unsere Erde gekommen ist, dass Gott in einem kleinen Kind zur Welt gekommen ist. In Jesus, dem Kind im Stall von Bethlehem, haben sich, so sagt es der christliche Glaube, Himmel und Erde verbunden.

Im ersten Buch der Bibel, im Buch Genesis, wird eine Traum-Geschichte erzählt, in der es auch um die Verbindung von Himmel und Erde geht: Ein Mann namens Jakob schläft und träumt von einer Leiter, die von der Erde in den Himmel ragt. Auf dieser Leiter steigen Engel auf und ab. Diese biblische Geschichte hat die österreichische Künstlerin Billi Thanner inspiriert, eine „Himmelsleiter“ zu schaffen. Das Grundgerüst besteht aus lackiertem Aluminium, das mit gelben Neonröhren bestückt wird, um die „Sprossen“ zu bilden.

Seit drei Monaten hängt eine solche Himmelsleiter von Billi Thanner auch hier in Köln, und zwar am DOMFORUM, direkt gegenüber unserem Dom. Im Erdgeschoss des DOMFORUMs steht die Leiter innen auf der Erde und setzt sich dann außen 20 Meter hoch an der Fassade fort. Sie verbindet – wie in Jakobs Traum – die Erde mit dem Himmel. Und sie leuchtet unübersehbar über die Domplatte.

Und wenn man in diesen Tagen am DOMFORUM vorbeikommt, führt sie am Fuß der Himmelsleiter im Foyer des DOMFORUM durch eine Krippe.

Schon früh haben sich Theologen überlegt, was die Himmelsleiter, von der Jakob träumt, wohl bedeuten kann. Warum gerade eine Leiter?

Einer von ihnen, der heilige Hieronymus lebte im 4. Jahrhundert. Er betrachtet die Jakobsleiter als Bild für den Weg des Lebens: Wir gehen unseren Lebensweg, Sprosse für Sprosse gehen wir weiter – bis wir einmal am Ende unseres Lebens angekommen sind. Und dann, so unser Glaube, haben wir unser Ziel erreicht, den „Himmel“, das heißt, wir sind aufgehoben in der Liebe Gottes, die wir den Himmel nennen.

Dabei, sagt Hieronymus, ermuntert und ermutigt Gott die Menschen auf der Lebens-Leiter immer wieder weiterzugehen, nicht müde zu werden oder aufzugeben. Die Himmelsleiter ist für Hieronymus auch ein Bild für den Weg des Glaubens. Wie eine Leiter, die uns hilft, Höhen zu erreichen, so zeigt uns der Glaube, wie wir in unserer Beziehung zu Gott wachsen können.

Der Weg nach oben ist nicht immer einfach. Eine Leiter hat viele Stufen, und oft müssen wir uns anstrengen, um voranzukommen. In unserem Leben gibt es Höhen und Tiefen. Aber wie die Engel auf der Leiter hinauf und hinab steigen, erinnert uns diese Vision daran, dass Gott nicht nur in den „guten“ Zeiten bei uns ist, sondern auch in den schweren Momenten. Er ist immer da, auch wenn wir den Himmel nicht immer spüren.

Für Hieronymus sind die Sprossen der Stufe aber nicht nur Symbole für Lebensjahre oder den eigenen Glaubensweg, sondern die Sprossen stehen für ihn auch für Werte, über die man, im Bild gesprochen, gut weiterkommt Richtung Himmel.

Diese Idee gefällt mir. Und ich möchte ergänzen: Solche „Werte-Sprossen“ führen mich auch immer hin zu meinem Nächsten, zu meinem Mitmenschen.

Gerade in diesen Zeiten ist es so wichtig, dass wir – ob wir glauben oder nicht – jeden Tag auf einer Treppe der Haltungen und der Nächstenliebe versuchen aufwärts gehen.

Denn es gibt so viele Abwärts-Bewegungen in unserer Zeit, auch und gerade im zurückliegenden Jahr: Krieg und Terror, Gewalt und Hetze, Antisemitismus und Rassismus, Populismus und Fake News, Unaufrichtigkeit und Egoismus. All das führt gerade nicht zum Nächsten, sondern in den Abgrund: Zunächst Einzelne, dann besondere Gruppen und am Ende ganze Länder.

 

Diesem Abwärtstrend im Großen und im Kleinen muss Einhalt geboten werden. Auch dafür steht für mich die Himmelsleiter.

Denn in der Vorbereitung auf die Installation der Himmelsleiter am DOMFORUM wurde überlegt, welche Haltungen und Werte solche „Sprossen“ sein können, auf denen und mit denen es vorwärts geht. Persönlich und als Gesellschaft. Auch bei uns in Köln und wo immer wir wohnen, leben und arbeiten.

Das Vorbereitungsteam sammelte unter anderem diese Begriffe:

Treue, Respekt, Selbstlosigkeit, Vergebung, Ehrlichkeit, Unvoreingenommenheit, Rücksichtnahme, Mut, Offenheit, Gerechtigkeit, Dankbarkeit, Einsatz, Diskretion, Friedfertigkeit, Toleranz, Weisheit, Freiheit, Beständigkeit, Freundlichkeit, Mitgefühl, Höflichkeit, Sympathie.

Das sind für mich 22 Sprossen auf dem Weg zu meinem Mitmenschen; 22 Sprossen auf dem Weg, wie ich persönlich und als einzelner die Welt ein wenig heller machen kann.

Als Christ kommen für mich noch drei wichtige Sprossen dazu, die schon der Apostel Paulus aufzählt: "[...] Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe." (1Kor 13,13)

 

Vor uns liegt heute ein neues Kalenderjahr.  

Was wird es bringen? Was kommt auf mich zu? Wird sich etwas von dem erfüllen, worauf ich zu hoffen wage? Was ist mir wichtig? Wovor habe ich Angst? Das alles sind Fragen, die sich stellen an der Schwelle zum neuen Jahr. Und neben dem, was uns im Hinblick auf unser eigenes Leben beschäftigt, gibt es auch Fragen nach dem, was in unserer Stadt, in unserem Land, in der Welt geschehen ist und geschehen wird. Wenn wir ins neue Jahr schauen, haben wir auch andere Menschen im Blick und spüren: Es reicht nicht, dass es uns alleine gut geht. Und viele von uns sind in Sorge über die Gewalt und den Hass und das Elend der Verhältnisse. Was wird das neue Jahr bringen?

Die Himmelsleiter am DOMFORUM strahlt in der Dunkelheit. In der Silvesternacht und auch danach.

Ihr Leuchten und ihr Licht sind ein Zeichen dafür, dass Gott bei uns ist. Das Licht ist ein Zeichen unserer Hoffnung, dass Gott Licht in das Dunkel unserer Welt bringen kann und ein Symbol für unsere Hoffnung auf ein friedvolles und erfülltes neues Jahr.

Ein modernes Kirchenlied erzählt davon, wo und wie sich Himmel und Erde berühren:

„Wo Menschen sich vergessen, die Wege verlassen und neu beginnen, ganz neu, da berühren sich Himmel und Erde, dass Friede werde unter uns.

Wo Menschen sich verbünden, den Hass überwinden und neu beginnen, ganz neu, da berühren sich Himmel und Erde, dass Friede werde unter uns.“

 

Immer wenn ich die Himmelsleiter sehe, besonders dann, wenn sie im Dunkeln strahlt, erinnere ich mich an die vielen Sprossen, die zu Gott und zu meinen Mitmenschen führen. Viele Sprossen, am größten unter ihnen ist die Liebe:

„Wo Menschen sich verschenken, die Liebe bedenken und neu beginnen, ganz neu, da berühren sich Himmel und Erde, dass Friede werde unter uns.“

 

Ich werde versuchen, die Sprosse der Liebe im neuen Jahr nicht allzu oft zu übersehen, sondern sie immer wieder zu betreten.

Denn das ist das Beste an der Himmelsleiter: Auf ihr ist für alle Platz!

    

    

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