„So etwas wie Hiroshima und Nagasaki darf sich nie wiederholen“: Stadtdechant Kleine erinnert an Abwurf der Atombomben vor 75 Jahren

6. August 2020; ksd

 

Köln. Es war und ist eines der furchtbarsten Ereignisse und einschneidensten Geschehnisse der Menschheitsgeschichte: der Abwurf der ersten und bis heute Gott sei Dank einzigen Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki vor 75 Jahren. Am 6. August 1945 tötete die erste Atombombe der US-Amerikaner rund 100.000 Menschen sofort und zerstörte die japanische Stadt fast vollständig. Am 9. August folgte der Angriff auf Nagasaki, bei dem unmittelbar mehrere zehntausend Menschen starben. In den Folgejahren starben unzählige weitere Menschen – und die Folgen dauern bis heute an. Im Gottesdienst am 6. August im Kölner Dom erinnerte Kölns Stadt- und Domdechant Robert Kleine an die Gräuel und zitierte dabei aus den Erinnerungen des deutschen Jesuiten Helmut Erlinghagen, der die Atombombe auf Hiroshima als Augenzeuge miterlebte und 1987 an den Spätfolgen starb. Kleines Appell ist eindeutig: „So etwas wie Hiroshima und Nagasaki darf es nie wieder geben!“

 

„Wir gedenken heute des Abwurfs der ersten Atombombe, die um 8.16 Ortszeit Hiroshima traf, vielen Tausenden den direkten Tod brachte und unzähliges Leid über die nächsten Jahrzehnte durch die Folgen der atomaren Verstrahlung. Als in unseren Breiten, in Europa, der Zweite Weltkrieg bereits sein Ende gefunden hatte, tobte er noch in anderen Regionen. Und erst nach diesem Abwurf und einem weiteren endete der Zweite Weltkrieg. Es ist sicherlich eine Herausforderung, dass wir immer wieder, ganz besonders um den Frieden in der Welt beten, wo es auch heutzutage, in dieser Stunde so viele kriegerische Auseinandersetzungen gibt, Terror und Flucht“, so Kleine zu Beginn des Gottesdienstes.

 

Nach dem Schluss-Segen schilderte der Stadtdechant dann die Erinnerungen des Ordensmannes: „Der Jesuitenpater Helmut Erlinghagen ist einer der wenigen deutschen Augenzeugen der Explosion. Als die Bombe fällt, hält er sich 4,2 Kilometer vom Explosionszentrum entfernt auf. Der Jesuitenpater ist damals 30 und wegen der Bombardements auf Tokyo ist er evakuiert nach Hiroshima. Im August 1985, zwei Jahre, bevor er an den Spätfolgen der Katastrophe starb, traf der Kölner Stadt-Anzeiger Pater Erlinghagen, der damals Professor an der Uni Mainz war. Er erinnerte sich an jenen 6. August, als er die Tragödie aus nächster Nähe miterlebte.“

 

Stärker als die Sonne

 

„Über dem Stadtzentrum blitzte ein riesiges Licht auf. Im gleichen Moment meinte ich, das Licht, hundertmal stärker als die Sonne, sei über mir und um mich herum. Plötzlich spürte ich starke Hitze und warf mich erschrocken auf meine Strohmatte, wie wir es oft in Gedanken geübt hatten. Nach vielleicht zwei oder drei Sekunden gab es einen fürchterlichen Knall. Ich war am ganzen Körper mit Glassplittern, Holzstücken und aus den Wänden gerissenen Lehmbrocken bedeckt. Ich kroch unter den Schreibtisch und betete. ,Das ist das Ende‘, dachte ich und wartete auf den Gnadentod – doch nichts geschah.“

 

Und dann dieser Augenblick, als er von Flugzeug-Motorenlärm aufgeschreckt wird. „Das muss eine B29 sein“, ruft er seinem Mitbruder Laurenz im Garten noch zu. Dann werden beide Zeugen des atomaren Infernos.

 

„Feuer, überall Feuer – die Stadt war ein einziges Flammenmeer. Das Jesuitenkolleg wird notdürftig zu einem Lazarett umgewandelt. Die Menschen lagen dicht nebeneinander, Körper an Körper. Es waren vorwiegend Frauen, am Kopf und im Gesicht so verbrannt, dass die Brandblasen sie ganz entstellt hatten. So lagen sie vor mir. Die oberste Hautschicht war abgerissen, das Gesicht aufgedunsen, der Mund geschwollen.“ Szenen, die Erlinghagen nie vergessen konnte. Auch nicht das Stöhnen der Verschütteten, die verzweifelten Rufe der Verbrannten nach Wasser. „Mit ihren ausgetrockneten Kehlen schnappten sie gierig nach dem schwarzen Regen, der auch am Tag 2 noch über Hiroshima niederging. Eine heimtückische Erfrischung, denn der Niederschlag ist radioaktiv verseucht.“ Nach dem Angriff um 8.16 wirkt die Stadt apokalyptisch auf ihn. Damals ahnte Erlinghagen nicht, dass er monatelang den Todeskampf tausender fremder Menschen begleiten würde. „ Diese Agonie mitzuerleben, war das Schlimmste. Man kann es sich nicht schrecklich genug vorstellen.“

 

Gebet der Vereinten Nationen

 

„Jeder Krieg bringt Schrecken hervor – es war sicherlich dann noch einmal eine neue Dimension mit der Atombombe“, so Msgr. Kleine. „Wir haben das ja glücklicherweise seit dem zweiten Abwurf nicht mehr erleben müssen. Aber nichts ist selbstverständlich, schon gar nicht in unserer Zeit. Deshalb lade ich ein, zum Abschluss das Gebet der Vereinten Nationen zu beten.“

 

Herr, unsere Erde ist nur ein kleines Gestirn im großen Weltall.
An uns liegt es, daraus einen Planeten zu machen,
dessen Geschöpfe nicht von Kriegen gepeinigt werden,
nicht von Hunger und Furcht gequält,
nicht zerrissen in sinnlose Trennung nach Rasse, Hautfarbe oder Weltanschauung.
Gib uns Mut und die Voraussicht,
schon heute mit diesem Werk zu beginnen,
damit unsere Kinder und Kindeskinder einst mit Stolz den Namen Mensch tragen.

 

„Lenke die Herzen der Verantwortlichen in der Politik zum Frieden, damit sich so etwas wie Hiroshima und Nagasaki nie mehr wiederholen kann“, betete Kleine.

 

Gebet für die Menschen von Beirut

 

Über dem Gedenken an die Opfer von Hiroshima und Nagasaki vergaß der Stadt- und Domdechant nicht die Opfer der Katastrophe von Beirut: „Am heutigen Tag gehen unsere Gedanken auch in den Libanon, der so oft in der Heiligen Schrift besungen wird, nach Beirut. Nach der furchtbaren Explosionskatastrophe sind unsere Gedanken und Gebete bei den Verletzten, bei den Toten, bei den Angehörigen. Und bei denen, die jetzt mit der Hilfe starten in dieser zerstörten Stadt.“

 

Der Gottesdienst ist hier als Video in der Mediathek von DOMRADIO.DE abrufbar.

 

Pater Erlinghagen setzte sich sein Leben lang dafür ein, dass der Einsatz der Atombomben von Hiroshima und Nagasaki als Verbrechen  verurteilt würde. Darüber hinaus wollte er den Menschen vermitteln, den Sinn des Lebens im Atomzeitalter darin zu sehen, sich für alle Lebewesen verantwortlich zu fühlen und sich für sie zu engagieren.

 

Hintergrund Hiroshima und Nagasaki

 

Am Morgen des 6. August 1945, um 8.15 Uhr und 17 Sekunden Ortszeit klinkte die Besatzung des US-Bombers „Enola Gay“ die Bombe in fast zehn Kilometern Höhe aus. Um 8.16 und zwei Sekunden explodierte die Atombombe in etwa 600 Metern Höhe über der Innenstadt. Innerhalb einer Sekunde hatte die Detonationswelle 80 Prozent der Innenstadt komplett zerstört und ihre thermische Strahlung bis in zehn Kilometern Entfernung Feuer entzündet.  Insgesamt starben bei dem Abwurf samt den Folgen bis 1946 unterschiedlichen Schätzungen zufolge 90.000 bis 166.000 Menschen.

 

Die Bombe auf Nagasaki wurde am 9. August um 11.02 Uhr Ortszeit über dicht bewohntem Gebiet abgeworfen. Sie sollte eigentlich den Mitsubishi-Konzern treffen, verfehlte ihr Ziel aber um mehr als zwei Kilometer. Sie zerstörte fast das halbe Stadtgebiet. Insgesamt starben nach unterschiedlichen Schätzungen am Tag des Abwurfs und in den folgenden Monaten 64.000 bis 80.000 Menschen. Die Spätfolgen wirken sich in beiden Städten bis heute aus.

  

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