„Wähle das Leben“: Pfarrer Karl-Hermann Büsch bei „Seelsorge & Begegnung“ in den Ruhestand verabschiedet

17. Juni 2021; ksd

Köln. Mehr als 20 Jahre lang war Pfarrer Karl-Hermann „Carlo“ Büsch bei „Seelsorge & Begegnung für psychiatrieerfahrene Menschen“ tätig. Das Konzept der bundesweit einmaligen Einrichtung, die zum Stadtdekanat Köln gehört, hat er mitentwickelt und geprägt; fast zwei Jahrzehnte lang hat er die Institution im Paulushaus zudem geleitet. Darüber hinaus war Büsch unter anderem Koordinator für die Behindertenseelsorge im Stadtdekanat. Nun ist Pfarrer Karl-Hermann Büsch in den Ruhestand verabschiedet worden.

„Danke Carlo“ sagt nicht nur eine sonnengelbe Girlande im Garten bei diesem Abschied. Danke sagen auch zahlreiche Kolleginnen und Weggefährten, Dr. Juliane Mergenbaum vom Referat Behinderten- und Psychiatrieseelsorge des Erzbistums sowie Kölns Stadtdechant Msgr. Robert Kleine. Und auch der Gefeierte lässt es sich nicht nehmen, sich bei jedem Einzelnen seiner Gäste sehr persönlich zu bedanken. Dabei wird deutlich, was Büsch ausmacht: der 67-Jährige scheut sich nicht vor Gefühlen. Nicht davor, sie zu benennen, nicht davor, sie zu zeigen. Bei aller gebotenen Professionalität hat dies den Geist des Hauses mitgeprägt und war ein Faktor für die erfolgreiche Arbeit von „Seelsorge & Begegnung“. Wobei Büsch der Erste wäre, der dies dem gesamten Team zuschreiben würde.

Büsch hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er selbst die dunklen Zeiten des Lebens kennt. „ Ich habe in Lebensphasen stark unter Depressionen gelitten“, sagt er. „Ich weiß nicht nur theoretisch, was eine Lebenskrise ist.“ Damit offen umzugehen, nicht nur im Kollegenkreis, sondern auch gegenüber Besucherinnen und Besuchern, sei heilsam gewesen. Und es gab ihm eine besondere Glaubwürdigkeit, stellte – bei allem professionellen Abstand – eine besondere Nähe her. Menschen spüren, dass er verstehen kann, wovon sie erzählen.

 

„Wunden berühren Wunden“

 

Es gibt eine Installation von Joseph Beuys, die den Titel „Zeige deine Wunde“ trägt. Darin fand Büsch seinen Ansatz gespiegelt. „Wunden berühren Wunden“, sagt er bei seinem Abschied. „Das war eine Programmatik für mich. Auch auf dem Hintergrund meiner eigenen Verletzlichkeit und dem Wissen darum.“ Und er betont: „Gebet und Freundschaft setzen Vertrauen voraus, wo wir uns auch als verwundete Menschen gegenseitig wahrnehmen und annehmen.“

Für ihn selbst sei die Arbeit, die Begegnung mit den Menschen, die zu Seelsorge & Begegnung kommen, sehr bereichernd und ein großes Glück gewesen, so Büsch. „Wähle das Leben“, zitiert er seinen Primizspruch, „aber wähle das Leben eben oftmals aus schwierigster Lage. Auch in dem Bewusstsein, wie zerbrechlich, wie gefährdet unser Leben ist. Und daraus immer wieder Mut und Kraft zu finden, jeden Tag neu zu wagen, das Leben wieder neu zu wagen – das war hier in diesem Feld, mit all diesen Möglichkeiten, ein großes Geschenk.“

 

Sorge für die Seele

 

Bei Seelsorge & Begegnung geht es nicht um Psychotherapie, „aber sehr wohl um heilsame Begegnungen“, so Büsch. Hier öffnen sich äußere und innere Räume. Kreative Räume, in denen die Besucherinnen und Besucher sich malend, schreibend, singend, tanzend ausdrücken und neu entdecken können. Konkrete Räume wie die einladende Kapelle mit ihrer „öffnenden Atmosphäre“ und dem eigens für die Einrichtung vom Viersener Künstler Mic Leder geschaffenen durchbrochenen Kreuz, das alle umschließt und das Licht hinter den Brüchen zeigt. Spirituelle Räume für die eigene Verortung und Entwicklung. Und nicht zuletzt zwischenmenschliche Räume, in der Begegnung von Mensch zu Mensch.

Es geht buchstäblich um die Sorge für die Seele. Während Klinikaufenthalte, ambulante Therapien und praktisches „Das Leben wieder in den Griff bekommen“ den Menschen in einer Lebenskrise oft erst einmal zusätzlich belasten beziehungsweise ihm einiges abverlangen, kann er bei Seelsorge & Begegnung einfach sein. Ohne Vorleistungen, ohne Kontrakt. 

„Als wir hier angefangen haben, waren manche skeptisch“, erinnert sich Büsch. „Die haben gesagt; ,Das fliegt euch hier bald um die Ohren, wenn ein Borderliner neben einem Suchtkranken sitzt. Das endet im Chaos.’ Doch all das ist nicht passiert. Natürlich gab es, wie in jedem Gruppengeschehen, auch hier mitunter Verstrickungen. Aber die wurden dann in lösungsorientierter Kommunikation geklärt.“

 

Begegnung auf Augenhöhe

 

Bewusst ist bei Seelsorge & Begegnung kein klassisch therapeutisches Kontraktsetting die Grundlage der gemeinsamen Arbeit: hier ein, Therapeut, dort die Klientin. Es geht um eine hierarchiefreie Begegnungg, um die Begegnung von „Subjekt zu Subjekt“, eine Beziehung auf Augenhöhe, trotz aller Brüche und Probleme. „Dadurch hat unsere Arbeit eine ganz eigene Qualität“, sagt Büsch. „Und dieses Konzept ist zu 100 Prozent aufgegangen.“

Büsch hatte ein Leben vor dem Priesterleben. Diplomkaufmann war er, dies schenkte ihm eine innere Unabhängigkeit. Diese hat er dann mitgenommen in seinen Priesterdienst. Und nicht nur das. Sein Primizspruch ist gleichsam sein Lebensmotto: „Wähle das Leben“. Eben weil Büsch um die Zerbrechlichkeit der menschlichen und auch der eigenen Existenz weiß, aber auch um die Kraft und den Halt, den der Mensch in Christus und in der Gemeinschaft finden kann, ist er dem Ruf in den besonderen seelsorglichen Dienst gefolgt. Neben Seelsorge & Begegnung war Büsch unter anderem Koordinator für die Behindertenseelsorge im Stadtdekanat Köln, Seelsorger für Menschen mit psychischer Erkrankung und Behinderung sowie Seelsorger für Menschen mit geistiger und Mehrfachbehinderung. Von 2000 bis 2005 war er Referent für die Pastoral für Menschen mit geistiger Behinderung im Erzbistum Köln. In dieser Zeit hat er diese Aufgabe auch in Personalunion für die Arbeitsstelle der Deutschen Bischofskonferenz wahrgenommen. 

Er hatte als Theologiestudent ein Jahr lang in Rom, im Priesterkolleg Campo Santo Teutonico, innerhalb der Mauern des Vatikans gelebt. „Ich habe damals schon gespürt, wie doppelbödig das Miteinander in diesem Priesterstaat ist“, erinnert sich Büsch. „Dafür hatte ich damals noch keine Sprache, aber wenn sie ein Jahr in diesem engsten inneren Kreis wohnen, dann erleben Sie schon intensiv dieses verstörende Klima eines männerbündischen Systems.“ Als er zurückkam, stellt sich die Frage: „Soll ich wirklich Priester werden?“ Er zog aus dem Studienkolleg für angehende Priester, dem Albertinum in Bonn, aus, wohnte und wirkte in einer Kölner Innenstadtgemeinde als Seelsorger und arbeitete dann als Assistent des damaligen Caritas-Direktors, Prälat Dr. Karl-Heinz Vogt. „Als ich aus diesem subkutanen klerikalen Milieu eines Kollegs herausging, habe ich dann – mit innerer neuer Freiheit – gemerkt: ,Doch Priester und Seelsorger das ist meine Berufung – aber du musst unbedingt deinen eigenständigen Weg gehen.’ “

 

Ein kölscher gute Hirte

 

Wie gut dies gelungen ist und welche Strahlkraft das entfaltet hat, hat Kölns Stadtdechant Msgr. Robert Kleine in seiner Dank- und Abschiedsrede zum Ausdruck gebracht: „Dein Gesicht hat diesen Ort und auch das Engagement der Kirche für eine besondere Gruppe von Menschen in unserer Stadt sehr geprägt“, so Kleine. „Du und dieser Ort, Ihr habt den Leuten das menschliche Antlitz der Kirche etwas nähergebracht.“ Seelsorge & Begegnung sei „ein kleiner Edelstein in unserem großen Stadtdekanat“.

Der schönste Titel in der Kirche sei Pastor und auch wenn Büsch nicht Pastor einer Pfarrei sei, so sei er eben doch ein Pastor, ein guter Hirte. „Da gibt es die Schafe, die zurückbleiben, die etwas krank sind. Das sind die Schafe, die andere vielleicht nicht so beachten, die aber zur Herde dazu gehören. Und der Blick des Pastors, des guten Hirten, des Seelsorgers und der Seelsorgerin ist genau das: jeden Einzelnen im Blick zu haben“, sagt Kleine. Mit Bezug auf Papst Franziskus ergänzt der Stadtdechant: „Der gute Hirt hat verschiedene Orte. Der geht mal voran, der muss gucken, wo gibt es Wiesen, wo die Schafe Nahrung finden, wo sie ruhen können. Der gute Hirt muss mittendrin sein – das hier ist so ein Ort des Mittendrin. Und der gute Hirt muss auch am Ende gehen, damit keiner zurückbleibt, damit keiner übersehen und vergessen ist. In dem Sinne habe ich dich immer erlebt als richtigen kölschen Pastor, als der gute Hirt.“

Es sei auch Büschs Beharrlichkeit und seinem Engagement in allen Gremien zu verdanken, dass es neben der Leitung durch Birgitta Daniels-Nieswand auch einen priesterlichen Nachfolger im Paulushaus geben werde. Pfarrer Wolfgang Pütz wird im Herbst die Nachfolge von Karl-Hermann Büsch antreten. 

 

Ein glaubwürdiges Bild von Kirche

 

Ähnliche Worte wählt Dr. Juliane Mergenbaum, Leiterin des Referats Behinderten- und Psychiatrieseelsorge im Erzbischöflichen Generalvikariat: Büsch habe der Behinderten- und Psychiatrieseelsorge in Köln sein Gesicht gegeben, offen, freundlich und mit einem Lächeln, das „ Barrierefreiheit in der Kontaktaufnahme“ ausstrahle. Kritikern habe er zudem ein glaubwürdiges Bild von Kirche gezeigt. „In diesem Sinne hast du unsere Kirche in deinem Wirkungsbereich immer auch ein Stück ,gerettet‘.“

Büsch habe sich immer wieder hartnäckig dafür eingesetzt, dass Menschen mit Behinderung und psychischer Erkrankung „einen gleichberechtigten Platz in unserer Kirche verdient haben, und dass sie zurecht fordern, auf Augenhöhe, selbstbestimmt und aktiv an der Gestaltung unserer Kirche mitwirken zu können“. Es sei Büsch immer darum gegangen, „Menschen vom Rand in die Mitte zu holen“ und „Vielfalt zu leben“, so Mergenbaum. „Bei Menschen mit Behinderung und psychischer Erkrankung sehen wir eine große Vielfalt an Kompetenz und Charismen, die unserem kirchlichen Leben an vielen Orten und in vielen Räumen guttut“.

 

Das Bruchstückhafte des Lebens ins Licht holen

 

Leiterin Birgitta Daniels-Nieswand vergleicht Seelsorge & Begegnung mit einem Kaleidoskop. „ Das ist so ein wunderbares Sinnbild für das, was wir hier tun, nämlich das Bruchstückhafte des Lebens ins Licht halten. Dass alles ausgesprochen werden darf, dass hier geweint, getrauert, gelacht werden darf. Es geht immer um Menschwerdung, das zu fördern, was Leben schafft. Büsch habe den Menschen viel Würde geschenkt, sie an ihre eigene Würde erinnert. „Es gab Menschen, die gesagt haben, es war eine wohltuende, es war eine heilige, heilsame Atmosphäre im Gespräch“, erzählt die Gemeindereferentin. „Du bist authentisch, als Priester, als Mann, als Mensch.“ Immer wieder habe Büsch Menschen auf liebevolle Art angesprochen und ermutigt.  Er half ihnen, „das ans Licht zu holen, was sie bewegt, und damit in Berührung zu kommen“, so Daniels-Nieswand.

Zum Abschied überreicht sie Büsch unter anderem einen Strauß Rosen, die „Free Spirit“ heißen, „ denn das bist du! Du bist ein freier Geist in dieser Stadt, in diesem Land, in dieser Kirche! Behalte den freien Geist und möge da noch ganz viel erblühen. Behüte dich Gott!“

 

Hildegard Mathies

 

www.seelsorge-und-begegnung.de

 

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