Wie ein Zeitfenster: Konstantin Kruse entwickelt das erste komplette 3D-Modell des Domes / Exklusive Tablet-Führungen (bis 27. September)

2. August 2022; ksd

Köln. „Als ich die ersten Testbilder gemacht habe, war ich etwas geschockt, weil der Raum schon sehr anders aussah, viel bunter, viel farbenfroher.“ Der Raum – das ist der Kölner Dom. Konstantin Kruse erstellt das erste digitale 3D-Modell der Kathedrale. Aus Anlass des Domjubiläums, das vom 15. August bis 27. September gefeiert wird, kann man mit Hilfe von Tablets bei exklusiven Führungen des DOMFORUMs in Kooperation mit der Kölner Dombauhütte den mittelalterlichen, komplett ausgemalten Domchor erleben. „Es muss für einen mittelalterlichen Bürger ziemlich überwältigend gewesen sein, in solch einen Raum einzutreten“, sagt Kruse.

Seit rund vier Jahren sitzt der heute 21-Jährige an einer digitalen Rekonstruktion des gesamten Domes. Vor rund einem Jahr ist dann im Gespräch mit Dombaumeister Peter Füssenich und dessen Stellvertreter Albert Distelrath die Idee entstanden, den gotischen Hochchor zum 700-jährigen Jubiläum seiner Fertigstellung in der alten farbigen Fassung im Computermodell auszuarbeiten und für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Außerdem kann man erleben, wie der Hochchor aussah, als der Dom noch nicht vollendet war. So steht man virtuell plötzlich vor einer Wand, die über Jahrhunderte den Chorraum nach Westen begrenzte, bis die Kathedrale im 19. Jahrhundert vollendet werden konnte.

 

Gegen künstliche Realität entschieden

 

Kurz habe man daran gedacht, dieses Erlebnis mit Hilfe von Brillen zu ermöglichen, die eine künstliche Realität (Virtual Reality) erzeugen. „Aber das war dann für uns zu sehr Realitätsverlust“ , erklärt Kruse. Mit einer VR-Brille kann man auch zu Hause sitzen, „aber wir wollten ja den Binnenchor erlebbar machen“. Besucherinnen und Besucher sollen dabei den direkten Vergleich haben zwischen dem mittelalterlichen Dom und dem Dom von heute.

Bei der Arbeit hat Konstantin Kruse, der seit 2019 als Werkstudent an der Kölner Dombauhütte arbeitet, vor allem überrascht, dass die Farben ganz anders waren als erwartet. „Ich dachte erst, dass die Gewölbe eher blau waren, weil es zu dieser Erbauungszeit eher üblich war, einen Sternenhimmel darzustellen“, erzählt der Architekturstudent der TU Köln. Den Sternenhimmel gab es dann aber nur als Stadium in seinem Modell und wenn Kruse das am Computer zeigt, hört man fast ein bisschen leise Enttäuschung heraus: „Ich war echt ein Fan der tiefblauen Gewölbe“, gibt Kruse zu, der ein Faible für die großen gotischen Kathedralen und die Pariser Palastkapelle Sainte-Chapelle hat, die so einen Sternenhimmel hat.

 

Dominantes Goldocker

 

Mit Hilfe restauratorischer Befunde sowie historischer Fundstücke, Quellen und Rekonstruktionen zeigte sich, dass der vorherrschende Farbton ein starkes Goldocker war. „Es war ziemlich aufwendig, das genaue Farbtimbre zu finden“, sagt Kruse. Schrittweise näherte er sich bei der CAD-Erstellung, der computerunterstützten Konstruktion, dem Ergebnis, bis klar war: „Dieser Goldockerton, der den Raum dominiert hat, war ziemlich stark, ziemlich – wie man heute sagt – in your face.“ Also fast schon aufdringlich. „Das wirkt natürlich erst einmal ein bisschen unnatürlich“, erläutert Kruse, „ aber es war tatsächlich so im Mittelalter und das weiß man heutzutage meist gar nicht mehr, dass die mittelalterlichen Kathedralen so bunt waren.“ Es sei denn, man arbeitet in einer Dombauhütte, ist Kunsthistoriker oder interessiert sich für diese Epoche oder Architekturgeschichte.

„Das Ocker ist quasi eine Ersatzfarbe für Gold“, erzählt Konstantin Kruse weiter. Die größeren Flächen waren in Goldocker gehalten, daneben gab es auch vergoldete Ornamente im Raum, darunter die gotischen Chorschranken, die komplett vergoldet waren. Wie die gesamte Architektur sollte auch die Farbgebung im Dom den Dreikönigenschrein widerspiegeln – um noch einmal zu betonen, zu wessen Ehren diese Kathedrale erbaut wurde. Bis in dier 1990er waren die Gewölbe noch ockerfarben, danach wurden sie weiß getüncht, um einen helleren Raumeindruck zu schaffen.

Wie ein Künstler immer wieder neu seine Farben mischt oder anpasst, so ging auch Kruse bei der Farbrekonstruktion vor: „Es war immer ein Herantasten, ein immer wieder neu ausprobieren“, erzählt er. In diesem Bereich der fotorealistischen Umwandlung der Daten in ein 3D-Modell (Rendering) sei es sehr komplex, so eine Textur- und Materialoberfläche zu erreichen. „Um diese Tiefe überhaupt herzustellen, dass man darunter Steine erkennt und teilweise den Glanz im Gold hat, braucht man schon sehr viel Zeit“, erklärt Kruse. Neben Ocker und Gold fanden sich etwa auch starkes Rot und Blau im Dom. Nach 700 Jahren will Kruse im Modell auch den mittelalterlichen Fenstern ihre alte Farbigkeit wiedergeben. Trotz Restaurierung strahlen sie heute nicht mehr so wie damals. Auch hier dürfen die Besucherinnen und Besucher auf die Wirkung am Tablet gespannt sein.

 

600 Millionen Polygone erstellt

 

Wie viele Stunden er schon an dem Dommodell gearbeitet hat, weiß Konstantin Kruse nicht. „Ich kann nur Fakten zum Modell nennen“, sagt er. „Wir haben mittlerweile ein CAD-Modell des Domes, das eine Größe von über 600 Millionen Polygonen hat. Das sind einzelne Dreiecke, die zusammenkonstruiert eben dieses Modell ergeben.“ Die Arbeitsstunden lägen bislang – das Projekt ist noch im Prozess – „auf jeden Fall in den 1000ern“, so Kruse. „Mehr kann ich nicht beziffern und ich will es, ehrlich gesagt, auch nicht wissen.“

Auch wenn der Student plant, später als Architekt zu arbeiten, sieht er seine Arbeit jetzt weniger als Beruf. „Es macht mir einfach Spaß“, sagt er. Schon früh hat er sich für Architektur interessiert, sich die CAD-Technik selbst beigebracht und erste Aufträge und Kooperationen mit Architekturbüros gehabt. Ein Praktikum hatte ihn dann 2018 in die Dombauhütte geführt.

„Konstantin Kruse hat ein großes Talent für CAD und digitale Visualisierungen“, sagt Füssenich über seinen jungen Mitarbeiter. Mit großer Begeisterung und Akribie habe Kruse an diesem Projekt gearbeitet. „Wir wurden vor einigen Jahren auf ihn aufmerksam, weil er bereits in seinen Jugendjahren ein digitales Modell des Domes erstellt und großes Interesse für die Architektur des Domes hat“, erzählt Füssenich. „Wir freuen uns sehr, dass er nun diese schöne virtuelle Zeitreise für unser Jubiläum umgesetzt hat!“

 

Beitrag zum Erhalt des Domes

 

Doch Kruse arbeitete nicht nur am Computer, um den digitalen Dom zu bauen. Immer wieder galt es auch, Teile per Hand vorzuzeichnen, bevor sie dann in das Computermodell übertragen werden konnten. „99 Prozent plus sind CAD-gezeichnet“, sagt Kruse. „Aber ich musste zum Beispiel auch mal das Maßwerk aus den Chorschranken mit der Hand skizzieren, damit wir die Proportionen sehen konnten.“ Neben Dombaumeister Füssenich und dem Stellvertretenden Dombaumeister Distelrath arbeitete Kruse eng mit den in der Dombauhütte tätigen Kunsthistorikern Matthias Deml und Klaus Hardering sowie Kunsthistorikerin Ulrike Brinkmann zusammen.

Was Konstantin Kruse jetzt erarbeitet hat, trägt künftig auch zum Erhalt des Domes bei – und das nicht nur, weil pro Tablet-Führung fünf der 18 Euro, die ein Ticket kostet, für eben diesen Zweck bestimmt sind. Die Erkenntnisse aus verschiedenen Disziplinen und Zeiten sind jetzt erstmals zusammengefasst worden und fließen in eine einzige Rekonstruktion.

Auch die von der Firma Northdocks mit Hilfe von Drohnen erstellten Scans des Domes flossen in die Arbeit ein und waren besonders hilfreich für die korrekte Platzierung der Chorpfeilerfiguren. Um 1280 haben Jesus, Maria und die zwölf Apostel als überlebensgroße Skulpturen Gestalt angenommen im Dom. Die Chorpfeilerfiguren wollte Kruse unbedingt noch vor dem Start der Führungen im Modell haben, auch wenn dieses – wie der große Dom – nie ganz fertig wird. Aber das ist ja auch gut so, denn bekanntermaßen geht die Welt unter, sollte der Kölner Dom je ganz fertig werden.

 

Früher der Geistlichkeit vorbehalten

 

Auch die Forschungen gehen entsprechend immer weiter. „Das digitale Modell zeigt den vermuteten Zustand des Domchores im Mittelalter“, erklärt Dombaumeister Peter Füssenich. „Bei der Rekonstruktion wurden alle uns bekannten Bauzustände und Ausstattungen berücksichtigt.“ Die Visualisierung mache zum einen deutlich, wie viel von der ursprünglichen Ausstattung noch erhalten geblieben sei. „Zum anderen ermöglicht sie den Besucherinnen und Besuchern einen Blick in den mittelalterlichen Binnenchor, der damals allein Domkapitularen und Geistlichen vorbehalten war“, erzählt Füssenich.

Solche digitalen Modelle sind anderenorts auch für reale Rekonstruktionen wichtig, wie sie für den Kölner Dom hoffentlich nie notwendig werden. So kommt Ähnliches etwa beim Wiederaufbau von Notre-Dame in Paris zum Einsatz. Auch die von Terroristen 2015 zerstörten Tempel und antiken Stätten von Palmyra könnten so zumindest teilweise wiederaufgebaut werden – das Projekt ist allerdings unter Fachleuten umstritten.

 

„Träumen darf man ja“

 

Und wie sieht es mit dem Kölner Dom aus? Wünscht sich Konstantin Kruse eine Zeitreise oder findet er es manchmal schade, dass der Dom nicht mehr in alter Farbenpracht erstrahlt? „Ich finde es sehr schade!“, sagt er. „Ich persönlich bin ein Fan der Rekonstruktion von Chartres. Viele sind das nicht, weil es sehr ,disneymäßig‘ aussieht, wie Disneyland. Aber wenn man da nochmal 50 oder 100 Jahre Patina drüberdenkt, dann sieht es wieder sehr toll aus. Dann sind die Farben nicht mehr so knallig, aber der Raum hat Farbe und der Raum hat diese Raumwirkung, die er im Mittelalter eben hatte. Und das wünsche ich mir natürlich auch für den Dom!“ Solche Rekonstruktionen seien aber extrem teuer und es stehe natürlich nicht in seiner Entscheidungsgewalt. Aber: „Träumen darf man!“

Und wie steht es mit dem Dombaumeister? Würde Füssenich gerne mal als Zeitreisender unterwegs sein oder den Dom in der farbigen Fassung nochmal auferstehen lassen? „Der Domchor wurde im Mittelalter von den besten Künstlern der Zeit farbenprächtig ausgemalt. Sie haben ihr Bestes gegeben, ihn zu einem Gesamtkunstwerk zu machen“, sagt er. Viel farbiger und üppiger als heute war der Raum. „Heute zeugen nur noch kleine Farbreste von der Prächtigkeit der Ausstattung und der Malereien des mittelalterlichen Domchores.“ Und die können Besucherinnen und Besucher nun zumindest virtuell erleben bei den Exklusiv-Führungen. Füssenich selbst gefällt besonders gut, dass das digitale Modell so programmiert wurde, „dass es sogar den aktuellen Sonnenstand berücksichtigt“. Das heißt: „Die Sonne scheint gleichzeitig – ganz real – durch die Chorfenster, aber auch an der richtigen Stelle virtuell auf dem Bildschirm.“

 

Führungen ermöglichen Zugang zu sonst versperrten Bereichen

 

Die exklusiven Tablet-Führungen bilden im Rahmen des festlichen Jubiläumsprogramms, zu dem auch die Uraufführung eines eigens von Helge Burggrabe komponierten Dreiköngsoratoriums und vieles mehr gehört, einen besonderen Glanzpunkt. „Der Domchor ist in seiner Gesamtheit ein großer Schatz, den wir hüten dürfen“, betont Dombaumeister Peter Füssenich. „Ich freue mich, dass er zu seinem 700-jährigen Jubiläum in diesem Jahr ganz im Mittelpunkt der Betrachtung steht. Ich wünsche dem Domchor viele Besucher und Gratulanten!“

Die Tablet-Führungen werden auch in sonst unzugängliche Bereiche führen, näher zum Hochaltar und näher zum Dreikönigenschrein beispielsweise. „Für mich ist das ein spannendes Projekt, mit der überraschenden Erkenntnis, wie dieser Raum nach Westen hin mit dieser großen Trennwand abgeschlossen war“, sagt Harald Schlüter, stellvertretender Leiter des DOMFORUMs und Referent für die Dom- und Kirchenführungen.

Aufgegriffen werden auch unterschiedliche Ansichten der Historiker beziehungsweise der Forschung über die Geschichte und Entwicklung des Hochchors, so Schlüter. Als Domexperte wusste natürlich auch Schlüter um die farbige Fassung des Mittelalters – doch es im Modell zu sehen, ist etwas anderes. „Wir denken immer, das Mittelalter wäre finster gewesen, aber es war poppig bunt!" Schlüter freut sich, dass das bald möglichst viele Kölnerinnen und Kölner sowie Touristen sehen können.

 

Die perfekte gotische Kathedrale

 

Bislang hat jeder, der den digitalen Dom gesehen hat, einen „WOW!“-Moment gehabt, erzählt Konstantin Kruse. Hat sich sein eigenes Verhältnis zum Dom durch die Arbeit am 3D-Modell verändert? Wenn er heute durch den Dom geht, denkt Kruse durchaus an das mittelalterliche Gotteshaus und stellt sich vor, wie alles ausgesehen hat. Die Leistung, die insgesamt in der Kathedrale steckt, erfülle ihn zudem „total mit Demut“, denn heute könnte keiner mehr so bauen. „Und selbst wenn – die Kosten wären astronomisch hoch“, sagt der künftige Architekt. „Es würde auch keiner wagen. Damals hat man einfach gotische Kathedralen im Versuchsverfahren gebaut. Man hatte keine statische Berechnung zu Hilfe, man hat einfach sozusagen ausprobiert, was hält. Und am Dom hat man es sozusagen zur Perfektion getrieben. Der Dom ist die perfekte gotische Kathedrale.“

Nicht zuletzt ist der Kölner Dom ein spiritueller Ort. „Auch wenn man nicht so gläubig ist, denke ich, dass die Spiritualität von so einem Raum schon sehr viel mit einem machen kann“, sagt Konstantin Kruse. Die Farbigkeit habe das damals verstärkt. „In heutiger Zeit, wo es soviel Negatives in der Welt gibt, gibt es in diesem Raum auch sehr viel Meditatives. Ich erfahre das immer an mir selbst. Ich brauche nur ein, zwei Minuten im Dom und schon bin ich runtergefahren, geht der Puls runter und man ist deutlich entspannter. Deswegen lohnt es sich, öfter in den Dom zu gehen!“

 

Autorin: Hildegard Mathies (exklusiv zuerst erschienen auf www.katholisches.koeln )

 

Exklusiv-Führungen mit dem Tablet

 

Die einstündigen Exklusiv-Führungen mit Tablet finden zwischen dem 17. August und 25. September statt. Pro Person können maximal zwei  Karten zum Preis von je 18 Euro erworben werden. Darin enthalten ist eine Spende von je 5 Euro zum Erhalt des Domes.

 

Die Karten können direkt im Besuchsfoyer des DOMFORUMs erworben werden sowie direkt über die Website

 

www.domforum.de

 

Alles zum Domjubiläum finden Sie auf der Jubliäumswebsite.

 

Die Website der Kölner Dombauhütte finden Sie hier.

 

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